1967

Abt Dr. theol. Hugo Lang (3. Dezember 1892 – 1. Juni 1967)

Der am 1. Juni 1967 verstorbene Abt Hugo Lang war der letzte Abtprotektor der Bayerischen Benediktiner-Akademie von 1955–64. Es war sein Verdienst, zweimal Studientagungen für die Ordensjugend durchgeführt zu haben, die ihre Bestätigung nun durch einen Beschluss des jüngsten Generalkapitels 1967 der Bayerischen Kongregation fanden. Dem bedrohlich ruhig und still gewordenen Leben der Akademie in Kriegs- und Nachkriegszeit gab der Abtprotektor neue Impulse durch Berufungen neuer Mitglieder 1962 und 1964, vor allem aber durch den Auftrag, mittels einer „Entstaubung“ der bisherigen Statuten neue Aktivität zu ermöglichen. Anlässlich einer Festsitzung der Akademie im Rahmen der 1200-Jahrfeier zu Ottobeuren verlieh der Abtprotektor den Neumitgliedern die neugeschaffenen Medaillen, die auch von den übrigen Mitgliedern bereits zum ersten Mal getragen wurden. Gleichzeitig wurden die neuen Statuten in Kraft gesetzt, als Abtprotektor Hugo Lang dem erstmalig gewählten Präsidenten die Leitung der Akademie übergab. Bei der Jahressitzung der Akademie am 30.10.1967 würdigte der Präsident P. Dr. Albert Siegmund (Scheyern) die Verdienste des letzten Abtprotektors mit dankbarem Gedenken. R.I.P. Es folgt ein Nachruf von Abtpräses Dr. Johannes M. Hoeck, gehalten am 5. Juni 1967 zu Andechs.
Der Mann, der so vielen Menschen jeden Standes, Ranges und Berufes mit stets gleicher Bereitschaft, mit so großer Einfühlungsgabe und menschlicher Güte Nachrufe gesprochen hat, hätte es wohl verdient, dass auch ihm ein solcher Nachruf gehalten würde. Aber dazu bedürfte es eines Menschen seiner Art und Gaben, seiner Vielseitigkeit und geistigen Beweglichkeit, seiner wahren Menschlichkeit und seiner Euphorie. Wenn ich solchen Erwartungen heute kaum entsprechen kann, so mögen das die vielen Freunde des Verstorbenen, die hier gegenwärtig sind, verzeihen und ich darf mich wohl auch damit trösten, dass sicher noch andere ergänzen werden, was ich schuldig bleiben muss.
Die Wurzeln dieses Lebens reichen tief in urbayerischen Boden und urbayerische Lebensart. Der Urgroßvater Abt Hugos war ein Donauschiffer, der – wie der Urenkel manchmal scherzhaft zu sagen pflegte – seinerzeit halb Europa zwischen Passau und schwarzem Meer unsicher machte. Sein Großvater war bayerischer Landrichter mit ausgeprägtem Sinn für Recht und Billigkeit, sein Vater, mit prächtigem Charakterkopf, war ein schlichter Buchhalter, während die Mutter aus vornehmer, kunstliebender Familie stammte. So mischten sich in diesem Kind die verschiedensten Erbanlagen zu einem seltsamen Bund: weltaufgeschlossener Wagemut mit behäbiger Sesshaftigkeit, schlichte Bürgerlichkeit mit unbekümmerter Fröhlichkeit und Nonchalance. Bei dieser reichen, vielseitigen und in gewissem Sinn sogar zwiespältigen Mitgift war es für den jungen Mann gewiss nicht leicht, seinen Lebensweg zu finden. Er hätte ebensogut Maler, Dichter und Musiker wie Redner, Gelehrter und Lehrer werden können. Er hätte aber auch, wie es nicht selten bei solcher Begabung geschieht, verbummeln können, wie er auch selbst in guter Laune und heiterer Selbsterkenntnis gelegentlich von seinen „verwahrlosten Talenten“ sprach. So war es für ihn, nachdem er seine Kindheit im niederbayerischen Landstädtchen Rottenburg a. d. Laaber unter Bauern und Beamten, seine erste Schulzeit aber schon in der königlichen Residenz- und Hauptstadt München verbracht hatte, gewiss eine providenzielle Fügung, dass er gerade in seinen entscheidenden Jahren mit klösterlicher Zucht in Berührung kam, die seinen Charakter glücklich formte, ohne ihn zu verbiegen. Im Gymnasium zu Metten, immer schon bekannt durch seine stramme Disziplin wie durch seine klösterlichen Originale, verlebte er – mit den künftigen Äbten von Metten und Schäftlarn, Hofmeister und Mitterer, in herzlicher Freundschaft verbunden – frohe Jahre bis zu seinem Abitur 1911. In den Ferien aber bot ihm das alte königliche München, die Stadt der Musen, Anregung in Fülle und ließ ihn jene Zeit erleben, von der Karl Alexander von Müller in seinen Erinnerungen sagt, dass niemand wisse, wie schön das Leben sein könne, der nicht diese Zeit vor dem ersten Weltkrieg gekannt habe. Trotzdem widerstand der junge Abiturient – wie einst St. Benedikt – der Versuchung, dieses Leben ungebunden zu genießen. Er trat alsbald nach dem Abitur in St. Bonifaz ein, dem er sich seit langem verbunden fühlte, machte dort sein Noviziat und widmete sich dann in München und später in Ettal seinen philosophisch-theologischen Studien, während draußen sich schon die Wetterwolken des ersten Weltkrieges zusammenzogen. Mitten in diesem Gewitter, am 12. November 1916, wurde er von Kardinal Bettinger in aller Stille zum Priester geweiht, während sein priesterliches Wirken sozusagen mit einem gewaltigen Paukenschlag begann, indem am Tag vor seiner Primiz, die er am Fest seiner Lieblingsheiligen Elisabeth feierte, die einzige Bombe des ersten Weltkrieges auf München fiel, ausgerechnet in den Klostergarten von St. Bonifaz, und die Fenster dieser Kirche zertrümmerte. Von nun an stand – wie die Todesanzeige sagt – sein Leben im Dienst der Münchener Seelsorge, war eine einzige frohe und frohmachende Verkündigung der Güte Gottes an alle, die ihm begegneten.
Offiziell hatte er eigentlich während seines ganzen Lebens nur zwei Ämter inne: von 1917–1951 das Amt eines Kaplans der Pfarrei und von 1951–67 das Amt des Abtes von St. Bonifaz. 34 Jahre Kaplan! Aber welch ein ungewöhnlicher Kaplan! Ein Seelsorger, der bald und weit über die Grenzen seines pfarrlichen Dienstbereiches hinauswächst, der immer neue Kanzeln entdeckt, immer neue Initiativen aufgreift und selber gibt, der sich nie versagt, der das Wort ebenso beherrscht hat wie die Feder, der mit Kindern ebenso umgehen kann wie mit Gelehrten, mit schlichten Bürgern ebenso wie mit Monarchen, mit einfältigen Gläubigen ebenso wie mit Skeptikern und Zweiflern.
Schon zwei Jahre nach seiner Priesterweihe betraut ihn Kardinal Faulhaber mit der Studenten-Seelsorge, die ihn auch mit anderen akademischen Gremien, wie dem katholischen Akademiker-Verband, in fruchtbare Beziehung brachte. Nachdem er bald erkannt hatte, wie wichtig gerade für diese Arbeit ein fest fundiertes Wissen ist, ging er selbst noch einmal in die Schule und promovierte bei Karl Adam in Tübingen, der damals auf der Höhe seines Wirkens stand, mit einer Dissertation über die Glaubensgewissheit bei Thomas von Aquin.
Auch später hat er uns noch manche theologische Arbeit geschenkt, wie seine „Untersuchungen zum Sakramentenbegriff“, seine „Liturgik für Laien“, seine Übersetzung von Butlers „Geschichte des I. Vaticanums“ mit einem interessanten Nachwort, welch letzteres Werk manchem Teilnehmer am 2. Vaticanum zu einer wertvollen Anweisung in die Konzilsarbeit wurde.
Dabei waren ihm zeitlebens ebenso große Gestalten der Vergangenheit wie Augustin, Thomas, Newman oder aus seinem eigenen Kloster ein Haneberg und Rottmanner, als auch geistesverwandte Zeitgenossen wie seine Lehrer Bäumker, Goettsberger, Reginald Schultes und seine väterlichen Freunde Philipp Funk und Carl Muth – um aus vielen nur diese zu nennen – Wegweiser und Förderer.
Was P. Hugo sich so erarbeitet, hat er dann im Laufe seines Lebens in ungezählten Artikeln, Vorträgen, Predigten und Buchbesprechungen für ein großes Publikum ausgebreitet und dabei ein bewundernswertes Geschick gezeigt, auch schwierige Fragen allgemeinverständlich zu machen. Er hat schon früh die Bedeutung der heutigen Massenmedien erkannt, hat schon seit 1926 und vor allem dann nach dem zweiten Weltkrieg als langjähriger Sonntagsprediger seine Kanzel im Äther aufgeschlagen. Auch für Tageszeitungen schrieb er jahrelang die Festartikel, wohl wissend, dass für viele Menschen das heute die einzige Möglichkeit ist, ihnen einen christlichen Festgedanken – und sei es auch nur in säkularisierter Gestalt – nahezubringen. Und was dabei besondere Anerkennung verdient und was gewiss mancher Redakteur mit besonderem Dank bestätigen wird: er ließ sich selten vergeblich bitten und er ließ kaum je mit Terminen im Stich.
Auch sonst scheute sich P. Hugo nicht, die frohe Botschaft präsent zu machen, wo immer sich ihm Gelegenheit bot, auch im profanen Bereich. Und wenn das der Volksmund mit dem witzigen Reim quittierte: „Kein Empfang ohne Lang“, so steckt dahinter ein viel ernsteres Anliegen, als es auf den ersten Blick scheinen mag, die Bereitschaft nämlich, dem Menschen zu begegnen, wo immer er des verstehenden Bruders bedarf. Viele dieser oft so zufälligen Begegnungen, auch mit Andersgläubigen, haben oft zu lebenslangen Verbindungen und Freundschaften geführt und sind manchen zu wirklicher Lebenshilfe geworden.
Eine letzte Kanzel endlich bot sich dem Vielbeschäftigten und Vielbeanspruchten an, als er nach dem zweiten Weltkrieg eingeladen wurde, eine Honorar-Professur für theologische Enzyklopädie zu übernehmen, die seiner universalen Bildung gewiss besonders lag, und in Salzburg eine Gastprofessur für Fundamentaltheologie, die seinen kontroverstheologischen Interessen im Sinne der UNA SANCTA entsprach.
So konnte es scheinen, dass P. Hugo aufs beste vorbereitet war für das Amt, das nach dem Tode des Abtes Wöhrmüller im Herbst 1951 das Vertrauen seiner Mitbrüder ihm, dem fast 60jährigen, auf die Schultern legte. Es konnte mindestens als eine verdiente Anerkennung für seine bisherige Arbeit gelten und war ja auch wohl so gedacht. Abt Hugo müsste auch nicht der gewesen sein, der er war, der Optimist mit dem barocken Lebensgefühl, wenn er sich nicht ehrlich darüber gefreut hätte, nun seine vielseitige Arbeit weiterführen zu können im Schmuck und auf dem Goldgrund eines Amtes, das er noch gerne im barocken Sinn verstand. Seine Tätigkeit als Abt minderte auch nichts an den guten und wertvollen Gaben, die sein bisheriges Wirken gekennzeichnet hatten: Er war weiterhin und noch mehr der begabte Prediger, Exerzitienmeister, Ratgeber, Schriftsteller, Gesellschafter und der gute Mensch. Trotzdem wird man sagen müssen, dass seine Zeit als Abt nicht die glücklichste Zeit seines Lebens war. Er wurde durch dieses Amt in manche Aufgaben hineingezogen, die ihm eigentlich nicht lagen; seine große Güte, die ihn jedem Menschen arglos vertrauen ließ, wurde oft genug ausgenützt und brachte ihn in Schwierigkeiten. Es war ihm auch nicht gegönnt, seinem Haus den so sehnlich gewünschten Nachwuchs zu gewinnen und seine vielen auswärtigen Verpflichtungen nahmen ihn nicht selten mehr in Anspruch, als es für einen Hausvater gut war, so dass sein edel gemeinter Wahlspruch fast in einem tragischen Sinn wahr wurde: fratribus debitor. Dazu kamen in den letzten Jahren noch häufige, monatelange Erkrankungen, so dass diese letzten Jahre ihm körperlich und wohl auch seelisch oft zu einer schweren Last wurden. Gewiss verließen ihn auch in dieser Prüfungszeit nicht sein Optimismus, seine Hilfsbereitschaft, sein Humor, so dass vielleicht nur wenige von diesen harten Jahren etwas merkten. Aber schließlich hielt er es doch – wohl schon im Vorgefühl seiner Lebensgrenze – für richtig, seinen Hirtenstab einer jüngeren Hand zu übergeben.
Die vielen guten Wünsche für einen wohlverdienten schönen Lebensabend, die ihm noch vor einem halben Jahr anlässlich seines 50jährigen Priesterjubläums von allen Seiten dargebracht wurden, haben sich nicht erfüllt. Und wenn wir nun heute seinen Leib – ausgerechnet am Feste des heiligen Patrons seines Klosters – zu Grabe tragen, mischt sich in die Trauer der vielen, die ihn geliebt und verehrt, auch noch eine gewisse Wehmut, dass er nicht einmal in seiner Abtei, die er so sehr geliebt, und an der er mit seinem ganzen Herzen und mit berechtigtem Stolz gehangen ist, sich zur Ruhe legen und die Auferstehung erwarten darf. Aber ich glaube, dass ihm auch Andechs eine liebe Ruhestätte sein wird, diese Kirche, die ihm anvertraut und teuer war, in der er so oft gepredigt hat, in die er so gerne seine Gäste geführt, eine Ruhestätte unter dem Schutzmantel der himmlischen Mutter, der noch sein letztes großes Werk gegolten hat. Was sterblich an ihm war, möge hier im Frieden ruhen, seine Seele aber, die gütig und barmherzig war, die Güte und Barmherzigkeit Gottes erfahren.

Johannes M. Hoeck OSB, Scheyern