2011

Abt Dr. Thomas Nigel (22. April 1922 – 10. Dezember 2011)

Der Herr über Leben und Tod rief am 10. Dezember 2011, in der Nacht zum 3. Advent, Abt em. Dr. theol. Thomas Niggl OSB in der Abtei Ettal, seinem Professkloster, zu sich in sein himmlisches Reich
Georg Niggl wurde am 22. April 1922 als erstes Kind der Eheleute Georg und Maria Niggl, geb. Pensberger, in Murnau geboren. Ihm folgten noch zwei Schwestern, Theresia und Ottilie. Sein Vater betrieb dort eine Hammerschmiede. Er hätte seinen einzigen Sohn gerne als Nachfolger in seinem Betrieb gesehen. Dessen Wege aber führten 1935 aufVermittlung seines Heimatpfarrers Martin Lohr in das Scholastikat der Abtei Ettal und an das dortige Gymnasium. Noch als Schüler der damaligen 7. Klasse wurde er am 1. Oktober 1941 zur Nachrichten-Ersatz-Batterie als Funker und Fernsprecher nach München eingezogen und bereits am 27. Dezember nach Russland abgestellt. Am 21. Oktober 1944 wurde der junge Soldat nahe der ostpreußischen Grenze bei Filipow durch einen Kieferdurchschuss schwer verwundet. In den schrecklichen Erfahrungen des Krieges begegnete er der Botschaft von Fatima. Ihr verschrieb er sich für sein ganzes Leben, dass es nie wieder Krieg gebe. Nach Lazarettaufenthalten wurde Georg Niggl nach Kriegsende von den Amerikanern am 5. Juli 1945 offiziell aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Nach einigen Wochen, am 15. September d.J., trat er in die Benediktinerabtei Ettal ein und erhielt bei seiner Einkleidung am 28. September den hl. Thomas von Aquin als Namenspatron und Wegbegleiter zur Vollkommenheit. Nach dem Noviziat legte Fr. Thomas am 30. September 1946 die einfache Profess in die Hände von Abt Angelus Kupfer ab, der am Schutzengelfest, 2. Oktober 1949, die feierliche Profess folgte. Abt Angelus schickte den jungen Ordensmann zum Studium der Philosophie und Theologie nach Eichstätt, wo er im Kolleg St. Benedikt der Abtei Plankstetten wohnte. Im Heiligen Jahr 1950 wurde Fr. Thomas von Erzbischof Michael Kardinal Faulhaber am 29. Juni zusammen mit 40 weiteren Weihekandidaten im Dom von Freising zum Priester geweiht. Schon während des Pastoralkurses immatrikulierte sich der junge Pater für klassische und deutsche Philologie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Doch im Schuljahr 1951/52 schickte ihn der neu erwählte Abt Johannes M. Hoeck in sein Professkloster Scheyern als Lateinlehrer und Präfekten. Danach nahm er das Studium in München wieder auf. Gleichzeitig besuchte er Vorlesungen bei Prof. Dr. Franz Dölger am Byzantinistisch-neugriechischen Institut. 1955 promovierte er in diesem Fach mit einer Arbeit über den Patriarchen Philotheos Kokkinos von Konstantinopel (1353–1354 und 1364–1376), der eine wichtige Rolle im Hesychastenstreit spielte.
Nach dem Staatsexamen und dem Referendariat begann P. Thomas 1956 seine Tätigkeit als Lehrer in den Fächern Latein, Griechisch und Geschichte am Ettaler Gymnasium. Mehrere Jahre hatte er auch das Amt des stellvertretenden Schulleiters inne. Er verstand es, seine umfassende humanistische Bildung an junge Menschen weiterzugeben. P. Thomas war bei seinen Schülern beliebt und geschätzt, nicht zuletzt weil er durch seine sportliche Kondition etwa bei Bergtouren oder beim Eishockeyspiel beeindruckte. Abt Dr. Karl Groß ernannte nach seiner Wahl P. Thomas am 17. September 1961 zum Prior des Klosters.
Nachdem die Abtei Weltenburg seit 1968 durch einen Prioradministrator aus den eigenen Reihen geleitet worden war, wandte sich der Konvent in der Sorge um die Zukunft des eigenen Hauses an die Abtei Ettal mit der Bitte um einen Oberen. So wurde der Ettaler Prior Dr. Thomas Niggl am 5. September 1973 zum Administrator für drei Jahre gewählt. Die Wähler bestätigten das einmal ausgesprochene Vertrauen durch die Wahl zum Abt am 2. Juni 1976. Bischof Dr. Rudolf Graber, der an der Phil.-Theol. Hochschule in Eichstätt einer der Lehrer des neu erwählten Abtes gewesen war, erteilte ihm am Vortag des Benediktusfestes, 10. Juli 1976 die Benediktion zum Abt. Altabt Thomas berichtet in seinen „Biographischen Notizen“: ,,Bevor ich Ettal verließ, betete ich vor dem Gnadenbild U.L. Frau Stifterin und versprach, ihr großes Anliegen, die Botschaft von Fatima, so weit ich kann, in Weltenburg zu verwirklichen in der Hoffnung, gerade dadurch das Kloster gegen alle Hoffnung zu retten.“ Seine tiefe Marienverehrung brachte er auch durch seinen Wahlspruch „Per Mariam ad Jesum“ zum Ausdruck.
Die große Sorge des neuen Abtes war der klösterliche Nachwuchs. Nach und nach traten zahlreiche Kandidaten ein. Abt Thomas führte sie als Novizenmeister in das monastische Leben ein und nahm ihre Profess entgegen. Freilich blieben auch Enttäuschungen nicht aus. Denn viele, die er aufgenommen hatte, verließen das Kloster wieder. Wie schwierig die personelle Lage im Konvent über Jahre hinweg war, wird auch dadurch deutlich, dass Abt Thomas von 1989–1995 neben seinen sonstigen Verpflichtungen die Aufgabe des Pfarrers von Weltenburg selbst übernahm.
Nachdem die klösterliche Landwirtschaftsschule 1972 geschlossen worden war, galt es, dem Konvent ein neues Arbeitsfeld zu erschließen. Dieses tat sich in der Katholischen Erwachsenenbildung auf im Rahmen der Weltenburger Akademie e.V., die bereits 1969 gegründet worden war. Zu diesem Zweck wurden 1974/75 die Räumlichkeiten der ehemaligen Schule zur Begegnungsstätte St. Georg umgebaut. Im 2. Stock entstanden 18 modern ausgestattete Zimmer. Für den Gästebetrieb wurde 1982 auch die St. Nikolauskapelle im Dachgeschoss ausgebaut. Für die Durchführung der Seminare in der Begegnungsstätte entstand 1984 als Tochtergründung der Weltenburger Akademie die Heimvolkshochschule e.V. Ein besonderer Höhepunkt der Amtszeit von Abt Thomas waren die Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Wiedergründung des Klosters am 31. Mai 1992. Das vielfältige Wirken von Abt Dr. Thomas Niggl wurde auch öffentlich anerkannt durch die Verleihung des Bayerischen Verdienstordens am 20. Juni 1985 aus den Händen des damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß.
Nachdem Abt Thomas 22 Jahre das Kloster Weltenburg geleitet hatte, trat er am 2. Oktober 1995 von seinem Amt zurück. Als zweiten Wohnsitz wählte er sein Professkloster Ettal, wo ihn die Mitbrüder gerne willkommen hießen. Auch wenn er die Verantwortung der Leitung nicht mehr zu tragen hatte, setzte er sich noch lange nicht zur Ruhe. Seine weitreichenden seelsorglichen Bemühungen für unterschiedliche Gruppen führte er auch im Alter weiter, bis er an Weihnachten 2008 schwer erkrankte. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt bezog er ein Zimmer in der lnfirmerie. Dort wurde Altabt Thomas bis zu seinem letzten Atemzug liebevoll betreut und gepflegt. Dafür sind wir Abt Barnabas und den Mitbrüdern des Ettaler Konventes, besonders Fr. Constantin, sehr dankbar und sagen an dieser Stelle ein herzliches „Vergelt‘s Gott“.
Wir hoffen und beten, dass alles advendiche Sehnen und Warten auf den wiederkommenden Herrn sich für unseren verstorbenen Altabt Thomas erfülle und er ihn teilhaben lasse an der ewigen Freude.

Abt Thomas M. Freihart OSB und der Konvent der Abtei Weltenburg

Prof. Dr. Horst Fuhrmann (22. Juni 1926 – 9. September 2011)

Am 9. September 2011 verstarb in Steinebach am Wörthsee Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Fuhrmann. Seit 1990 war er Mitglied der Bayerischen Benediktinerakademie.
Horst Fuhrmann war Oberschlesier. Geboren am 22. Juni 1926 in Kreuzburg. Etwas von dem heiteren Sinn, den man den Schlesiern nachsagt, war ihm zu eigen, und dazu besaß er eine überschäumende Vitalität.
Nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft studierte er ab 1946 an der Universität Kiel Geschichte, Klassische Philologie und Rechtsgeschichte. Sein Hauptarbeitsgebiet wurde die Geschichte des Mittelalters. Mit der Arbeit „Studien zur Geschichte mittelalterlicher Patriarchate“ wurde er 1954 zum Dr. phil. promoviert. Von 1954 bis 1957 arbeitete er am Institut der Monumenta Germaniae Historica und am Deutschen Historischen Institut in Rom. 1960 habilitierte er sich in Kiel für die Fächer mittlere und neuere Geschichte mit der Arbeit „Einfluss und Verbreitung der Pseudo-isidorischen Fälschungen, von ihrem Auftreten bis in die neuere Zeit“. Veröffentlicht wurde die Arbeit in drei Bänden 1972–1974. 1962 wurde er Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte in Tübingen. Als ich mich an der Katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen, meiner Heimatfakultät, habilitierte, war Horst Fuhrmann Korreferent, als Mediävist der Philosophischen Fakultät. Seitdem war unsere Verbindung nie abgebrochen. Von 1971 bis 1994 war er Präsident der Monumenta Germaniae Historica. Zugleich hatte er einen Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Universität Regensburg inne.
Fuhrmanns Forschungen konzentrieren sich vor allem um die Themenkreise Papsttum, Kirche und Recht im Mittelalter. Als Horst Fuhrmann in den 60er Jahren an der Universität Tübingen Vorlesungen über Päpste und Papsttum ankündigte, da wurde – so berichtet er selbst – eines Tages mit dickem Farbstift quer durch den Aushang geschrieben: „Katholik oder Protestant… oder?“ Und Fuhrmann beantwortete die Frage mit der für ihn typischen Auskunft: „Ich bin Protestant, wenn auch ohne besonderen Bekenntnisdrang“. Es ist bemerkenswert, dass die Geschichte des Papsttums immer wieder protestantische Gelehrte faszinierte, und dass sie diesem Gegenstand bedeutende Werke widmeten, so Leopold von Ranke, Johannes Haller, Erich Caspar und eben Horst Fuhrmann. Harald Zimmermann, der Tübinger Mediävist, hat diesem Phänomen eine eigene Studie gewidmet: „Von der Faszination der Papstgeschichte, besonders für Protestanten“. Fuhrmanns Forschungen zur Papstgeschichte zeichnen sich aus durch seine Analyse der päpstlichen Briefe, Urkunden und Selbstzeugnisse, und vor allem durch die Beschäftigung mit den großen Fälschungen der Pseudoisidorischen Dekretalen und der sogenannten Konstantinischen Schenkung, nach der Kaiser Konstantin Papst Silvester I. Rom und den Westen des Römischen Reiches, sowie die kaiserlichen Insignien übergeben haben soll. Diese Fälschungen wurden im Mittelalter zur Untermauerung der päpstlichen Suprematsansprüche herangezogen, wie Fuhrmann in zahlreichen Studien nachweisen konnte. Das Meiste dieser Insignien und des kaiserlichen Hofstaates wurde von Papst Paul VI. abgeschafft. Einiges aber ist bis heute lebendig. Horst Fuhrmann hätte es sich nie träumen lassen, dass er als Papsthistoriker in Tübingen und dann in Regensburg Universitätskollege eines späteren Papstes sein würde.
Er wurde zum bedeutenden Spezialisten für Fälschungen im Mittelalter. Dabei fragte er nach der Funktion und der Wirkung dieser falschen Dokumente. Es ging ihm nicht um eine vordergründige moralische Skandalizierung dieser Fälschungen. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass 1986 in München ein großer internationaler Kongress über „Fälschungen im Mittelalter“ stattfand, bei dem Umberto Eco als Professor der Semantik, nicht als Literat, referierte.
Aber Horst Fuhrmann war nicht nur der Mann der mittelalterlichen Handschriften und Urkunden-Editionen, die nur die Fachwelt interessieren. Es war ihm ein Anliegen, einem großen Publikum das Mittelalter nahezubringen. Seine glänzend geschriebenen einschlägigen Schriften wurden zu Bestsellern. Es seien nur einige genannt: Deutsche Geschichte im hohen Mittelalter, 3. Aufl. Göttingen 1993. Die Päpste von Petrus zu Johannes Paul II. , München 1998; aktualisiert von Petrus zu Benedikt XVI. Einladung ins Mittelalter, München 1987. Überall ist Mittelalter. Von der Gegenwart einer vergangenen Zeit, München 1996. In den letzten Jahren beschäftigte er sich besonders mit den Lebensläufen von Gelehrten. „Sind eben alles Menschen gewesen. Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter“ so lautet der Titel eines Buches von 1996. Und: Menschen und Meriten. Eine persönliche Portrait-Galerie, München 2001. Wie Rudolf Schieffer in seinem Nachruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtete, schätzte Fuhrmann in besonderer Weise Ignaz von Döllinger. Beide beschäftigten sich mit Fälschungen in der Papstgeschichte, und beide waren Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Zahlreiche Ehrungen wurden dem Verstorbenen zuteil. 1974 wurde er ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, deren Präsident er 1992–1997 war. Mehrere Ehrendoktorate wurden ihm verliehen. Er war Mitglied in zahlreichen in- und ausländischen Akademien, Instituten und Historischen Kommissionen. 1986 wurde er mit dem Orden Pour le mérite ausgezeichnet, 1987 mit dem Bundesverdienstkreuz. Die schönste Ehrung aber, die einem Gelehrten zuteilwerden kann, ist die Nachwirkung seiner Forschungen und seiner Werke.
Horst Fuhrmann war eine Zierde unserer Bayerischen Benediktiner-Akademie.

Klaus Ganzer, München

Prof. Dr. phil. et theol. habil. P. Ferdinand Gahbauer OSB (29. Mai 1945 – 28. Januar 2011)

In Aidenbach, wo sein Vater eine Zahnarztpraxis unterhielt, wurde Reinhard Gahbauer am 29. Mai 1945 geboren. Die Kinderjahre verbrachte er mit seinen Eltern und Geschwistern in Niederbayern und im Berchtesgadener Land. Am Maristengymnasium in Fürstenzell legte er 1966 das Abitur ab, bevor er am 7. November desselben Jahres in Ettal das Noviziat begann und den Klosternamen Ferdinand erhielt. Nach der einfachen Profess folgte das Theologiestudium in Salzburg und München. Am 15. September 1973 wurde P. Ferdinand zum Priester geweiht. Das von Abt Johannes Hoeck in Ettal begründete byzantinische Institut weckte sein Interesse an ostkirchlichen Studien. Abt Karl Groß förderte diese Neigung und gestattete ihm die Promotion im Fach Byzantinistik an der Universität München. Für die Schule erwarb P. Ferdinand die Lehrbefugnis in Klassischer Philologie, Religion und Sozialkunde. Nach der Referendarzeit am Münchener Max-Gymnasium unterrichtete er diese Fächer in Ettal. Eine weitere Promotion erschloss ihm die Möglichkeit zur Übernahme von Lehraufträgen in Benediktbeuern, St. Anselm in Rom und Fulda. 1991 konnte sich P. Ferdinand für das Fach Alte Kirchengeschichte bei den Jesuiten von St. Georgen in Frankfurt habilitieren. 2006 erfolgte die Berufung an die Päpstliche Hochschule in Heiligenkreuz als Professor für Patrologie und Alte Kirchengeschichte. Bis kurz vor seinem Tod dozierte er dort mit Blockveranstaltungen. Unserer Historischen Sektion gehörte er seit 1990 an. Eine Rückenwirbeloperation in Murnau brachte dem von einem Nierenkarzinom betroffenem P. Ferdinand leider keine Heilung. Am 28. Januar 2011 verstarb P. Ferdinand und fand seine letzte Ruhestätte am 3. Februar im Kreuzgang der Baslika seines Professklosters.

Ulrich Faust OSB, Marienberg