1971

P. Dr. phil. Stephanus Ferdinand Hilpisch (6. September 1893 – 3. Juli 1971)

Am 3. Juli 1971 starb in Maria Laach fast unvermerkt und nur nach kurzer Krankheit P. Stephanus Ferdinand Hilpisch. Der durch seine ordensgeschichtlichen Studien in der gesamten benediktinischen Welt bekannte Gelehrte wurde am 6. September 1894 in Waldernbach im Oberlahnkreis geboren, trat 1914 in Maria Laach ein, legte dort 1916 seine ersten Gelübde ab und wurde nach Abschluss der theologischen Studien 1921 zum Priester geweiht. Abt Ildefons Herwegen, selbst ein hervorragender Kenner der benediktinischen Geschichte, erkannte bald die reichen Gaben, die der junge Mönch für die historische Forschungsarbeit besaß und schickte ihn zur weiteren Ausbildung 1922 an die Universität Bonn, wo er in dem methodisch so subtil forschenden und doch feinsinnig die großen Zusammenhänge überschauenden angesehenen Monumentisten Wilhelm Levison seinen prägenden Lehrer fand. Er stellte ihm mit dem Thema „Die Doppelklöster. Entstehung und Organisation“ eine interessante Aufgabe für seine Doktordissertation, die er bereits 1927 der Fakultät vorlegte und 1928 als Heft 15 der „Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens“ veröffentlichte. Im gleichen Jahr erschien seine „Geschichte des benediktinischen Mönchtums“ (Herder, Freiburg), mit der er erstmals einen zusammenfassenden Grundriss der so vielfältigen geschichtlichen Entwicklung des Benediktinertums gab und sowohl der klösterlichen Jugend wie der Forschung ein schon lange gewünschtes Handbuch schenkte. Das gleiche Jahr verlangte auch seine Mitarbeit am Prachtwerk „Benediktinisches Klosterleben in Deutschland“, mit welchem die Abtei Maria Laach die 1929 ihr Gründungsjubiläum feiernde Abtei Monte Cassino ehrte. Es folgten Untersuchungen zur Laaeher Klostergeschichte, zur Geschichte der mitteldeutschen Abteien im Reformationszeitalter, kleinere Arbeiten zur monastischen Liturgiegeschichte – alles während einer fruchtbaren Lehrtätigkeit in Kirchengeschichte und Hebräisch an der Laacher Ordenshochschule für Philosophie und seit 1931 auch an der Laacher Benediktinerakademie.
In seiner Geschichte des benediktinischen Mönchtums offenbaren sich an der Gelehrtenpersönlichkeit P. Stephans zwei Züge, die für ihn so charakteristisch sind, dass sie in jeder Würdigung genannt werden müssen: Es ist die lebendige Schilderung der monastischen Frühzeit, in der er das Leben der Wüstenväter beschreibt und es versteht, bei aller historischen Genauigkeit, ja Unbestechlichkeit der Darstellung, doch das Echtmenschliche, das große Christliche, die lebendige Kraft des Evangeliums hinter den oft sonderbaren, um nicht zu sagen abstoßenden aszetischen Formen anschaulich zu machen. Das andere ist die Beschreibung des angelsächsischen Mönchtums des 7. und 8. Jahrhunderts. Hier zeichnet der Gelehrte ein Mönchsleben, das ihm selbst Ideal und Vorbild geworden ist im Dreiklang von Gebet, Gelehrsamkeit und Lehrtätigkeit, verklärt von einer gesunden, durch keinerlei Verkrampfung verzerrten Menschlichkeit. Diese Grundzüge sind es auch, die P. Stephan zu einem stets so erfolgreichen Seelsorger gemacht haben. Er ist ein Prediger ohne jedes Pathos, ohne große Gesten, aber von einer klaren und knappen Sprache. Auch im kleinsten Eifeldorf hatte er stets überaus wache und aufmerksame Zuhörer, weil sein Wort aus innerster Überzeugung kam und aus seiner eigenen Kraft gewann.
Als nach dem Tode von P. Simon Stricker (+ 1950) die Notwendigkeit bestand, einen neuen Spiritual in die Abtei St. Marien in Fulda zu entsenden, fiel die Wahl des Abtes von Maria Laach und der Abtei St. Marien auf P. Stephan, zumal ernste Erkrankung und eine schwierige Operation in den vergangenen Jahren eine geruhsamere Tätigkeit angebracht erscheinen ließen.
In Fulda wandte sich P. Stephan vor allem stadt- und bistumsgeschichtlichen Themen zu, die er in den „Fuldaer Geschichtsblättern“ und in der Bistumspresse veröffentlichte. So war die Berufung in die Historische Kommission für Hessen und Waldeck eine folgerichtige Ergänzung seiner Mitgliedschaft in der Bayerischen Benediktinerakademie (seit 1932) und im Abt-Herwegen-Institut für liturgische und monastische Forschung (seit 1948). Seit 1959 gab er auch mit dem Chronisten die „Beiträge“ wieder heraus, die Sammlung, der er sich im Andenken an Abt Ildefons besonders verbunden wusste. Als Dozent der Kirchengeschichte war P. Stephan ein fesselnder Lehrer, der die Darstellung der großen Enwicklungslinien über das Detail stellte und meisterhaft beherrschte. Als Chronist des Klosters durch 25 Jahre hindurch ein großartiger Porträtist der Mitbrüder in den Nachrufen, als Bibliothekar freilich ein Mann, der eher die Würde des Amtes schätzte als die trockene Verwaltungsarbeit.
P. Stephans Bibliographie weist leider Lücken auf, doch enthält sie mehr als 100 Titel (vgl. Fuldaer Geschichtsblätter 40 (1964) 100 f., verzeichnet nur die Bücher); seine populären Artikel werden freilich auf über tausend geschätzt. Mit einem Schuss gesunder Selbstironie diktierte er einmal seinen Hörern, was er von sich selbst im Nachruf festgehalten wissen wollte: ,,Sein Ideal war allzeit die Humanitas, die Liberalitas und die Universalitas. Er war mit Freuden katholisch, aber nicht klerikal, auch nicht eng-römisch. Er war glücklich in seinem Priestertum und in seinem Mönchtum, und selbst in einem Benediktinerkloster Beuroner Art blieb er urban und human. Er hatte gesunde Grundsätze, machte aber nur mäßig und liberal davon Gebrauch. Und er hat nie auf einer Taste geklimpert.“

Emmanuel v. Severus OSB, Maria Laach

P. Dr. h. c. Romuald Bauerreiß OSB (6. November 1893 – 22. Juni 1971)

Kurz nach seinem Goldenen Priesterjubiläum ist P. Romuald Bauerreiß in der Maria-Theresia-Klinik in München am 22. Juni 1971 plötzlich verstorben. Drei Wochen vorher hatte ihm eine Amputation das linke Bein genommen. So endete ein Gelehrtenleben, das durch fast ein halbes Jahrhundert immer wieder die Aufmerksamkeit der Historiker, der Kultgeschichtler, der Freunde der Volkskunde, der bayerischen Heimatforscher auf sich lenkte.
P. Romuald Bauerreiß war geborener Münchner. Unweit der Propyläen erblickte er am 6. November 1893 das Licht der Welt. Zu seinen Spielgenossen auf dem früheren, so schönen Wiesengrund des Königsplatzes gehörte der bekannte Dichter Eugen Roth. Er besuchte mit ihm die Luisenschule und dann das Benediktinergymnasium Ettal, das er 1914 absolvierte. Nach dem Dienst als Artillerist im 1. Weltkrieg trat er 1919 in St. Bonifaz ein. Am 7. Mai 1920 legte er Profess ab, am 1. Mai 1921 wurde er von Kardinal Faulhaber zum Priester geweiht. Nicht lange im Dienst der Seelsorge und der Jugendpflege tätig, stellte ihn Abt Bonifaz Wöhrmüller für die wissenschaftliche Forschung frei. 1925 übernahm er die Schriftleitung der „Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens“, denen er 42 Jahre lang viel Kraft und Mühe schenkte. 1937 wurde ihm dazu die Stiftsbibliothek St. Bonifaz anvertraut, der der Bombenkrieg 1943 unersetzliche Verluste brachte. Ihre Reste wieder auszubauen, war sein intensives Bemühen bis in die letzten Tage seines Lebens.
Das literarische Lebenswerk P. Romualds umfasst 15 selbständige Schriften, darunter seine Bayerische Kirchengeschichte in 7 Bänden (1950-70), 81 Aufsätze in den Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens, 50 in anderen Zeitschriften, 11 in Festschriften und die Mitarbeit an 5 Lexikas (vgl. die Bibliographie in SMGB 79, 418ff.). Naturgemäß ist nicht alles davon von gleichem Gewicht und von dauerndem Wert. Da er gerne Hypothesen aufstellte, wo verlässliche historische Quellen versiegten, hat ihn manchmal die Spekulation zu umstrittenen Ergebnissen geführt. Seine Lust und Liebe zur Kombination wollte und konnte er nie verleugnen. Er meinte, wo das historisch Nachweisbare zu Ende sei, müsse die Hypothese weiterhelfen. So war er nicht nur ernstzunehmender Historiker, sondern auch in manchen seiner Arbeiten angreifbarer Hypothetiker, der seine Gegner fand.
Seine Liebe zu St. Bonifaz und Andechs kannte keine Grenzen, ja sie verleitete ihn zuweilen zu Schritten, die nicht von Nutzen waren. Seine Mitbrüder nannten ihn im Spaß, mitunter auch in besorgtem Ernst den „Zeloten“ von St. Bonifaz, der geneigt war, manche Dinge zu sehen und anzusehen, wie sie nicht gelegen waren. Er hat sich damit das Leben nicht immer leicht gemacht.
P. Romuald fand für seine Arbeit hohe Anerkennung, nicht zuletzt durch seinen Abt Professor Hugo Lang, der bei manchen seiner Ehrungen Pate gestanden hat. So ernannte ihn die theologische Fakultät der Münchener Universität zu ihrem Ehrendoktor, Kardinal Döpfner zu seinem Erzbischöflichen Geistlichen Rat, so verlieh ihm das Land Bayern den Bayerischen Verdienstorden, die Bayerische Akademie der Wissenschaften ihre Medaille „Bene merenti“, so ernannte ihn das Herwegen-Institut zu ihrem außerordentlichen, der Diözesen-Geschichtsverein von München-Freising zum Ehrenmitglied. Der Bayerischen Benediktinerakademie gehörte P. Romuald seit 1924 als ordentliches Mitglied an.
Bezeichnend für P. Romuald sind für jeden, der ihn näher kannte, die Beziehungen zu zwei Menschen, die in München jeder kennt. Hans Scholl, der mit seiner Schwester Sophie auf dem Schafott sein Leben opferte, und Lisl Karlstadt, die Volksschulspielerin an der Seite von Karl Valentin, holten sich bei ihm so manchen Rat und manche seelsorgerliche Hilfe.
Der modernen Entwicklung in der Kirche stand P. Romuald gerade als Kenner der Geschichte recht skeptisch und zuinnerst besorgt gegenüber. Er konnte noch in seinen letzten Lebenstagen recht bittere Worte über die Selbstzerstörung in der Kirche sagen.
Mit P. Romuald ist ein Benediktiner von uns gegangen, der in seiner Art einmalig war. Zutiefst mit seiner bayerischen Heimat verbunden, forschte er in ihrer Geschichte von ihren Anfängen an. Er war ein einzigartiger Deuter christlicher Kultur und christlichen Kultes, ein aufgeschlossener Wegbereiter für manchen jungen Freund der Vergangenheit, aber auch ein verständnisvoller Interpret der Terra Benedictina bei wissensdurstigen bejahrten Leuten.

Willibald Mathäser OSB, St. Bonifaz-Andechs

P. Rudolf Henggeler OSB (1. November 1890 – 21. Mai 1971)

Der am 21. Mai 1971 verstorbene Stiftsarchivar von Einsiedeln, P. Rudolf Henggeler, hat in einem eigenen Werkverzeichnis „Gib Rechenschaft von deiner Verwaltung“ alle Arbeiten seiner reichen Tätigkeit aufgeführt. (Er konnte das Werkverzeichnis zu seinem 50jährigen Professjubiläum am 8. September 1963 als Privatdruck für einen engeren Kreis von Verwandten und Freunden veröffentlichen.) 707 Titel gedruckter und 157 Titel ungedruckter Arbeiten geben Zeugnis für das unentwegte und einsatzstarke Schaffen des gelehrten Historikers. Die Forschungen und Berichte gehen über Hagiographi, Ex Libris, Numismatik, Heraldik, Familienforschung, Kunstfragen, vor allem aber, was bei der Eigenart Rudolf Henggelers nicht zu vermeiden ist, über die Geschichte Einsiedelns, Ordensgeschichte, Innerschweiz. Aus dem ganzen Werk ragen vier starke Bände des „Monasticon Benedictinum Helvetiae“ auf, die Professbücher von St. Gallen (I), Pfäfers, Rheinau, Fischingen (II), Einsiedeln (III), Disentis, Mariastein, Hofstift Luzern, Allerheiligen Schaffhausen, Stein am Rhein, Wagenhausen, Trub, St. Johann im Thurtal (IV). Nebst der Tätigkeit im Archiv betreute Rudolf Henggeler als Konservator die Stiftssammlungen, die zu mehren er, der geborene Sammler, Tag und Nacht ausging. Beinahe 40 Jahre war er als Lehrer der Geschichte, vornehmlich des Mittelalters, an der Stiftsschule tätig: bei seinen Schülern hochgeschätzt wegen des sicheren und überragenden Wissens, womit er viele für die Geschichte zu begeistern verstand (stets schritt er feierlich, ohne irgendwelche Hilfsmittel als Gedächtnisstütze durch die langen Gänge ins Schulzimmer), beliebt, gar oft aber auch wegen seiner buchstäblichen Güte missbraucht. Zu all dem kommt noch eine vielseitige Korrespondenz mit Historikern und Sammlern aus aller Welt: die freundliche, rasche und sichere Bereitwilligkeit für Auskünfte jeglicher Art im Stiftsarchiv Einsiedeln ist weit im Land herum sprichwörtlich geworden. Reiche Talente sind Rudolf Henggeler mit ins Leben gegeben worden; er hat sie nicht vergraben, er hat mit ihnen gewuchert. Leicht ging ihm das Reden und das Schreiben; das außerordentlich frische Gedächtnis half manchen Gang abkürzen, doch mehr denn einmal, leider, auf Kosten der Genauigkeit.
Das wache Traditionsbewusstsein nahm Rudolf Henggeler mit vom väterlichen Hof Bethenbühl bei Oberägeri im Zugerland, wo er am 1. November 1890 geboren wurde. Frei und unabhängig, Herren und Bauern zugleich, lebten die Ahnen über dem Ägerisee. Es ist nicht zu verwundern, dass sich die Liebe und die Treue zu Sippe und Heimat bei Rudolf Henggeler nie trübten. Das St. Galler Professbuch ist ein Dank an den „Vater Wolfgang Henggeler, dem ich die Liebe zu Tradition und Geschichte verdanke“.
Rudolf Henggeler war Benediktiner. Alles, was mit Benediktinertum zu tun hatte, bewegte ihn. Er sah das Leitbild in einem Mönch, der in den schöpferischen Zeiten der Karolinger, der Sachsen- und Salierkaiser groß geworden, sich im Zeitalter des Barock zur festlichen Vollendung entfaltete. Es gibt wohl kaum ein in der Geschichte bedeutendes Benediktinerkloster, das Rudolf Henggeler nicht aufgesucht und sich für dessen Geschichte nicht interessiert hätte. Dabei machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube: Er hielt mit seiner Sympathie für die österreichischen und bayerischen Stifte nicht zurück. So freute er sich zeitlebens, Mitglied der Bayerischen Benediktinerakademie zu sein. Bei aller Bewunderung für die frühmittelalterlichen Benediktiner blieb Rudolf Henggeler zuletzt mit seinem ganzen Gemüte und seiner ganzen Begeisterungsfähigkeit immer wieder im Barock stehen: Die Mönche in den neu gebauten Abteien jener Epoche hatten es ihm angetan. Dass auf dem Arbeitstisch im Stiftsarchiv ein kleines Bild des gelehrten und hochberühmten Rheinauer Mönchs Mauritius Hohenbaum van der Meer (1718–1795) stand, war mehr als nur äußere Reverenz vor dessen großem wissenschaftlichem Werk; dieser Typ ist Leitbild gewesen. Alles, was in Einsiedeln barocke Formen hatte, liebte und schätzte Rudolf Henggeler: die Engelweihe, das Rosenkranzfest mit der großen Prozession als letzte Erinnerung an das barocke Theater an diesem Tage (dieses Fest hat ihn immer angesprochen: nicht nur, dass er oft begeistert auf der Stiftskanzel predigte, sondern er ließ sich bei einem Besuch eigens auf der berühmten Schiffskanzel in Irsee photographieren), die Fronleichnamsprozessionen, das Pontifikalamt alten Stils, wobei er mit Würde und Eleganz als Archipresbyter auftrat.
In dieser barocken Welt mit all ihrer Geistigkeit blieb Rudolf Henggeler dann auch stehen, was nicht ausschloss, dass er in Rom, wo er bei der Ritenkongregation arbeitete, die Eröffnung und die verschiedenen Sessionen des Zweiten Vatikanischen Konzils tief miterlebte. Was dann nachher kam, dazu hatte er kein Verhältnis mehr. Er lebte seinen originellen Lebensstil unter den Mitbrüdern weiter, oft nicht ohne geistreichen Humor (wie er immer schon das Alltagsleben eigenständig kommentierte), dann aber auch umso energischer der neuen Zeit den Rücken zu kehren.
Die letzten sechs Jahre waren für Rudolf Henggeler eine harte Zeit. Auffallend rasch nahmen die körperlichen Kräfte ab, die geistige Spannkraft ließ stark nach. Er, dem Arbeiten Freude war, musste die Mühe langer, arbeitsunfähiger Tage erleben. Scheinbar entlud sich auf ihn die Mühe der mittelalterlichen Pilger, auf deren Spuren er bewusst nach Jerusalem und nach Compostella folgte. Die Herrlichkeit des Herrn sei dem nimmermüden Mitbruder Freude und Seligkeit.

Kuno Bugmann OSB, Einsiedeln