Prof. Dr. theol. Hermann Tüchle (7. November 1905 – 23. August 1986)
In den Morgenstunden des 22. August 1986 verstarb im Kreiskrankenhaus Fürstenfeldbruck Prälat Dr. Hermann Tüchle, emeritierter Professor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit in der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München, seit 1964 a.o. Mitglied der Bayerischen Benediktinerakademie. über drei Jahrzehnte wohnte Prof. Tüchle in Gröbenzell. Bei der sonntäglichen Eucharistiefeier am 10. August las Professor Tüchle mit ungewöhnlich kräftiger Stimme das Evangelium (Lukas 12,32-48): „Legt euren Gürtel nicht ab, und lasst eure Lampen brennen! Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten, … die ihm öffnen, sobald er kommt und anklopft. Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt … Haltet auch ihr euch bereit!“ Am gleichen Nachmittag erschien der Todesengel.
Achtzig Jahre betrug die zugemessene Lebensspanne. Prof. Tüchle wurde am 7. November 1905 in Esslingen (Württemberg) geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Rottweil und Studien an der Universität Tübingen wurde er 1930 zum Priester des Bistums Rottenburg geweiht, an der Universität Tübingen 193 7 zum Dr. theol. promoviert, 1940 für das Fach Kirchengeschichte habilitiert. Seine erste Lehrtätigkeit entfaltete der Dozent und apl. Professor in der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, daneben stets – und dies ein Leben lang – auch im priesterlichen Dienst und in der Seelsorge beschäftigt. Im Jahr 1950 ging er als Ordinarius für Kirchengeschichte und Patrologie an die Erzbischöfliche Philosophisch-Theologische Akademie nach Paderborn, bis er 1952 einem Ruf als o. Professor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit in die Theologische Fakultät der Universität München folgte. Hier hat er zwei Jahrzehnte lang, bis zur Emeritierung 1971, in der Forschung und als geschätzter Lehrer gewirkt, hochangesehen bei Kollegen und Studierenden. Diese Hochschätzung fand nicht zuletzt Ausdruck in der stattlichen Festgabe der Freunde, Schüler und Kollegen zum 70. Geburtstag („Konzil und Papst. Historische Beiträge zur Frage der höchsten Gewalt in der Kirche“, herausgegeben von Georg Schwaiger, Paderborn 1975). Hier findet sich auch das Verzeichnis seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen: rund 20 selbständige Werke, über 100 Aufsätze und eine große Zahl von Beiträgen in wissenschaftlichen Nachschlagewerken. Schwerpunkte in diesem umfangreichen Werk bilden die allgemeine und schwäbische Kirchengeschichte, namentlich zum Mittelalter und zur Zeit der Reformation, ferner grundlegende Editionen und Untersuchungen für die Frühzeit der Römischen Propagandakongregation zu deutschen Angelegenheiten im 17. Jahrhundert. Ein beträchtlicher Teil der Arbeiten war schwäbischen Klöstern gewidmet. Vor allem die Weiterführung der dreibändigen „Kirchengeschichte“ seines Tübinger Lehrers Karl Bihlmeyer hat Prof. Tüchle allen Studierenden der katholischen Theologie bekannt gemacht; denn dieses solide, in mehrere Sprachen übersetzte Werk ist seit Jahrzehnten das in Deutschland am meisten verbreitete Lehrbuch der Kirchengeschichte. In der wissenschaftlichen Welt, bei seinen Schülern und Kollegen wurde Prof. Tüchle als einer der angesehensten und verdientesten katholischen Kirchenhistoriker Deutschlands geschätzt. Im November 1985 konnte er noch im Kreise seiner Schüler und Freunde den 80. Geburtstag in ungebrochener körperlichen und geistiger Frische in München feiern. Es war ein besinnliches Beisammensein in herzlicher, dankbarer Verbundenheit.
Alle, die ihm nähergestanden sind, wissen, dass in diesem verhaltenen Mann gelehrte, kritische Arbeit, Liebe zur schwäbischen Heimat, Liebe zur Kirche und innerliche Frömmigkeit in nicht selbstverständlicher Harmonie sich verbanden. Sein Lebenstil war einfach, wie seine Religiosität von einem Zug franziskanischen Geistes gezeichnet. Die persönliche Anspruchslosigkeit, verbunden mit konzentriertem, unermüdlichem Fleiß, wurde die wesentliche Voraussetzung der umfangreichen gelehrten Arbeit, die immer noch Zeit zum priesterlichen Dienst an den Menschen erübrigte. Seit 1953 wohnte Prof. Tüchle in Gröbenzell vor München. Bis zum genannten letzten Sonntag blieb er der Pfarrgemeinde in seelsorgerlicher Hilfe verbunden.
„Abstammung, Heimat und Familie geben jedem Menschen trotz der Vielfalt und Verschiedenheit seiner Erlebnisse und Schicksale, seiner Entscheidungen und Erfolge etwas Unverlierbares mit. Auch in den überraschendsten Wendungen des Lebensweges ist immer wieder die klare Linie, die Konstante des Wesens und Charakters wie etwas Vorgeprägtes zu erkennen. Neu ist nur und der Verantwortung des Gewissens verbleibt einzig, wie solches Erbe bewahrt und eingesetzt und was aus ihm gestaltet wird.“ Diese Worte setzte Prof. Tüchle an den Beginn seiner einfühlsamen, mit spürbarer Liebe geschriebenen Biographie seines schwäbischen Landsmannes Carlo Steeb (1773–1856), des kürzlich seliggesprochenen Samariters von Verona. Man könnte diese Worte auch über Prof. Tüchles ganzes Leben setzen.
Am 27. August 1986 wurde in Prof. Tüchles geliebter Heimat, im Heilig-Kreuz-Münster zu Rottweil, von Weihbischof Dr. Anton Herre (Rottenburg-Stuttgart) das Requiem gefeiert, anschließend die Beerdigung auf dem Stadtfriedhof Rottweil gehalten.
Tausenden von Studierenden, vor allem künftigen Priestern und Lehrern, war Prof. Tüchle ein stets sachlicher, gerechter, gütiger Lehrer, ungezählten anderen auf ihrem Lebensweg priesterlicher Helfer. Uns bleibt die Erinnerung an einen edlen Menschen und vorbildlichen Priester, der uns vorangegangen ist im Zeichen des Glaubens.
Georg Schwaiger, München
Erzabt Dr. Ursmar Engelmann OSB (15. August 1909 –18. Juli 1986)
Am 18. Juli 1986 starb in einem Krankenhaus zu Sigmaringen der 1980 resignierte Erzabt Dr. Ursmar Engelmann im Alter von nahezu 77 Jahren. Am 23. Juli wurde er nach einem Pontifikalrequiem nachmittags in der Krypta zu Beuron beigesetzt. Da der Tote den ausdrücklichen Wunsch geäußert hatte, dass bei seiner Beerdigung keinerlei Laudatio gehalten werden dürfe, so konnte ich, der ich als einziger Vertreter der Bayerischen Benediktinerakademie anwesend war, das Wort nicht ergreifen; um so dringender erscheint uns die Pflicht, ihm im Rahmen der Akademie, deren außerordentliches Mitglied er in der Sectio Historica gewesen war, einen Nachruf zu widmen. Das Sterbebildchen bringt als Ersatz für die ausgefallenen Laudationen immerhin einen Lebenslauf in beispielhafter Prägnanz, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.
Erzabt Ursmar stammte aus einer Beamtenfamilie in Jena. Das Studium der evangelischen Theologie und der Geschichte in Jena, Wien und Freiburg i. Br. erschloss ihm die Welt des Mönchtums; er konvertierte in Beuron und bat 1935 um Aufnahme in das Noviziat.
Ein Jahr nach seiner Priesterweihe 1940 wurde er als Sanitätsdienstgrad eingezogen; 1945 kehrte er aus Krieg und Gefangenschaft zurück. Von 1947 bis 1970 leitete er die Klosterbibliothek. Von 1952 bis 1969 lehrte er an der Hochschule der Erzabtei und am Katechetischen Seminar im Sonnenhaus Beuron Altchristliche Literaturgeschichte, Kirchen- und Kunstgeschichte. Zahlreiche Veröffentlichungen sind die Frucht seines steten Arbeitens; hinter seiner kraftvollen Deutung geschichtlicher Gestalten und künstlerischer Zeugnisse verbargen sich umfassende Kenntnisse und ein waches Einfühlungsvermögen.
Seit 1955 Subprior, wurde er von Erzabt Benedikt Reetz 1957 zum Prior und 1967 nach dem Rücktritt von Erzabt Damasus Zähringer zum Administrator ernannt. 1970 zum 8. Erzabt von Beuron gewählt, blieb er wissenschaftlich interessiert und tätig; durch fundierte Konferenzen für seine Gemeinschaft und Exerzitien in Benediktinerklöstern des deutschen Sprachraums gab er auch seine geistliche Erfahrung und Oberzeugung weiter. Die Einführung des gemeinsamen Stundengebets in der Muttersprache und die Gesamtrestaurierung der Klosterkirche standen unter seiner Obhut.
Im Alter von 70 Jahren trat er von seinem Amt zurück. In den folgenden Jahren blieb er zu Beuron, feierte täglich das Stundengebet und die Eucharistie mit, soweit seine Kräfte es zuließen, weiterhin wissenschaftlich und seelsorglich tätig.
Dem haben wir nur wenig hinzuzufügen. Die wissenschaftlichen Neigungen wie auch die Erwerbung des Doktorgrades stehen am Anfang seines Werdeganges, vor seiner Konversion und seinem Klostereintritt. Gerade diese wissenschaftliche Aufgeschlossenheit war kein Hindernis für sein Mönchtum und schon gar nicht für ein von einem Abt abverlangten beispielhaften Mönchtum, sondern eher eine Vorstufe für seine doppelte Conversio. Als er 1980 auf den Antrag der Sectio Historica als außerordentliches Mitglied in unsere Akademie aufgenommen werden sollte, holte ich zuerst seine Zustimmung ein. Er nahm diese Ehrung gerne an, da es „eines meiner Anliegen ist, über die engen Grenzen unserer Kongregation hinauszuschauen“ (5.11.1979). Er übermittelte mir auch ein zweiseitiges Verzeichnis aller seiner Artikel und Aufsätze, wie er sie fast Jahr für Jahr in der „Benediktinischen Monatsschrift“ (seit 1959 „Erbe und Auftrag“ umbenannt) und anderwärts, sogar in unseren „Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens“ veröffentlicht hatte. Auch zum Band I der „Germania Benedictina“ wollte er eine längere Arbeit über die Gründung und das Wachstum der Beuroner Kongregation beisteuern.1981 hielt er als Hauptoffiziant unserer Jahrestagung Amt und Predigt. Schon zuvor hatte er uns einen großen Dienst erwiesen, als er uns am 10. Oktober 1971 in der noch leeren romanischen Kirche von Mittelzell auf der Reichenau einen auch geistig anspruchsvollen Vortrag über diese benediktinische Kulturstätte ersten Ranges hielt, für das Volk dann in einer eigenen Predigt, die vom Tagesevangelium, dem Zöllner Zachäus, ausging, vereinfacht. Ich habe darüber in meiner Sequenz der VESTIGIA PATRUM berichtet. Gerade für ihn muss es bitter gewesen sein, dass die alten Bemühungen Beurons, dieses Kloster wieder zum Leben zu erwecken, an staatlicher und kirchlicher Ablehnung scheiterten (GB III). So mischt sich auch eine gewisse Tragik in dieses Leben. Ursmar Engelmann konnte verzichten; das hat er 1980 durch seine Resignation gezeigt. Er musste manches unvollendet hinterlassen; wenn die im Lebensbild genannte Restaurierung der Klosterkirche, d. h. eine Rebarockisierung, nur ein mäßiges Ergebnis erbrachte, dann ist das nicht seine Schuld. Wie ich hörte, steht das zentrale Hochaltarbild von der Krönung Mariens unter Denkmalschutz und darf nicht entfernt werden, wodurch die Dissonanz zum „Beuroner Stil“ verewigt wird. Wir nehmen an, dass der mit so viel kritischem Verstand begabte Tote in der Ewigkeit keine Dissonanzen mehr ertragen muss. Ob Barock oder Beuroner Stil, spielt da keine Rolle mehr.
Stephan Schaller OSB, Ettal