1979

P. Dr. phil. Albert Siegmund OSB (31. Januar 1908 – 19. November 1979)

Am 17. Juli 1963 stellte Pater Albert Siegmund die Ansprache an die scheidenden Abiturienten unter das Thema: „Ein erfülltes Leben ist immer ein Leben voller Opfer.“ Er verwies dabei auf den großen griechischen Lehrmeister Platon, der sagte, dass die Schau der Ideen, d. h. die Schau der eigentlichen Wahrheit und der eigentlichen Güte des Seins selbst nicht möglich sei. Nach ihm ist das Leben des wahren Philosophen, des wirklichen Wahrheitsliebenden, eine ständige Askese. Pater Albert fuhr dann fort: „Wenden wir das an auf das Christliche, wie wir es in Fortführung vom platonischen Gedankengut im Unterricht auch oft genug getan haben:
Wenn also letzthin erfülltes Leben für den Menschen nur im Anschauen und Besitzen Gottes gegeben ist, dann ist für uns Menschen hier auf dieser Erde und in unserer Situation das nicht anders möglich, als nur durch das immer wieder erneuerte Opfer und die Entsagung seiner selbst: das, was ohne die Gelehrsamkeit der Antike Christus der Herr schlicht und einfach für jedermann sagt: Wer mein Jünger sein will, der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Pater Albert hat diese durch die griechische Weisheit gefestigte Glaubenshaltung nicht nur den Schülern gelehrt, sondern auch immer vorgelebt. Sein Leben war zwar ein erfülltes, aber ebenso ein opfervolles Leben.
Das begann bereits in seinem Elternhaus in Wolnzach, inmitten einer großen Zahl von Geschwistern. Dort wurde er am 31. Januar 1908 als erstes von 13 Kindern der Gütlerseheleute Anton und Maria Siegmund geboren und kurz darauf auf den Namen Ignaz getauft.
Allein diese wenigen Angaben verraten, dass die Eltern große Mühe hatten, mit einem spärlichen Einkommen, mit den Erträgnissen der wenigen Felder und des kleinen Hopfengartens, die Familie zu unterhalten. In dieser Umgebung wurden auch jener zähe Fleiß und jene geradlinige, ehrliche Haltung geprägt, die seinen Charakter besonders auszeichnen. Dazu gab ihm Gott eine hervorragende geistige Begabung in die Wiege, so dass er als zehnjähriger Knabe am 9. September 1918 als Scholastiker in das Knabenseminar Scheyern eintreten konnte. P. Stephan Kainz erzählte einmal, der kleine Ignaz sei bereits als Kind öfters nach Scheyern gebracht worden und schon damals seien die ersten Anzeichen des späteren geistlichen Berufes erkennbar gewesen.
Nach dem erfolgreichen Studium an der Lateinschule in Scheyern und am Gymnasium in Ettal trat er unter Abt Simon Landersdorfer in das Kloster Scheyern ein und erhielt am 14. Mai 1927 als Novize den Ordensnamen des großen Kirchenlehrers Albert. Nach einem Jahr Noviziat unter Leitung des asketischen, aber doch auch verständnisvollen Pater Bruno Graßl legte er am
5. Mai 1928 die einfachen Gelübde ab.
Zum Studium der Philosophie und Theologie (Nov. 1928 – Juli 1934) durfte P. Albert nach Rom auf die Benediktiner-Hochschule San Anselmo gehen. Dort, in der Ewigen Stadt, konnte er den Geist der Antike und des Urchristentums einatmen und täglich die weltumspannende Weite der katholischen Kirche vor Augen sehen. Er durfte Bekanntschaft und Freundschaft mit vielen hochgesinnten Männern aus aller Herren Länder schließen.
Zeitweilig war er Capo der deutschsprachigen Gruppe. Abt Albert von Kremsmünster teilt dazu mit: „Als ich 1933 nach dem Noviziat nach San Anselmo kam, war er (P. Albert) Capo unserer Gruppe. Er nahm sich der Neulinge – der kürzlich verstorbene Abt Paulus von Sankt Paul und der Schottenabt gehörten dazu – sehr liebevoll an.“
In der Zwischenzeit legte er, am 15. August 1931, die feierlichen Gelübde ab. Am 26. Juli 1932 empfing er aus der Hand Kardinals Michael von Faulhaber die Priesterweihe.
Nach dem Aufenthalt in Rom und dem Erwerb des Lizentiats der Theologie widmete sich P. Albert dem Studium der Altphilologie in München, das er 1938 mit Staatsexamen und im November 1939 mit dem Doktorat bei Professor Dr. phil. Lehmann abschloss. Das Thema seiner Doktordissertation lautete: „Die Überlieferung der griechischen christlichen Literatur in der lateinischen Kirche bis zum 12. Jahrhundert.“ Da unter der Herrschaft der Nazis im Jahre 1939 die Ordensschulen abgebaut wurden, kam er zunächst nicht zum Einsatz als Lehrer an die Schule.
Im September 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus. Um einer möglichen Einberufung zum Militärdienst vorzubeugen, schien es P. Albert damals ratsam, als Rector ecclesiae in den Dienst der Seelsorge zu treten. So wirkte er vom 16. Sept. 1939 bis 26. Dez. 1945 als Kooperator in der weitausgedehnten Pfarrei Scheyern. Auch diese Zeit brachte für ihn viele Opfer mit sich. Er musste nicht nur viele Trauergottesdienste für gefallene Söhne und Väter halten, auch ihn persönlich traf manch bittere Heimsuchung. So verlor er innerhalb weniger Monate drei seiner Brüder im Feld. Neben seiner Tätigkeit in der Seelsorge arbeitete P. Albert damals als Gründungsmitglied auch im Byzantinischen Institut der Abtei.
Nach dem Kriege war er maßgebend am Aufbau von Schule und Internat beteiligt. Mit großem Elan und in der Hoffnung, dass aus der Schule selbst auch neue Kräfte nachwachsen würden, begann der Schulbetrieb Ende März 1946 mit anfänglich 2 Klassen. Dank des guten Einvernehmens des Schuldirektors Pater Plazidus Sattler mit dem damaligen Kultusminister Dr. Alois Hundhammer (einem ehemaligen Schüler von P. Plazidus) erfolgte am 15. April 1947 die ministerielle Genehmigung zum Ausbau der Schule zu einem Vollgymnasium. P. Albert wirkte ab 1946 zunächst als Lehrer an der Schule und trat dann 1949 zusätzlich die Nachfolge von P. Canisius Pfättisch als Direktor des Seminars an. Nun stand er vor der Aufgabe, aus dem ehemaligen Erzbischöflichen Knabenseminar alter Prägung allmählich ein Schülerheim für freie Berufe zu formen. Dies bedeutete eine Fülle organisatorischer Maßnahmen und baulicher Veränderungen. Schwieriger und verantwortungsvoller war die innere Umstellung, der Übergang von einer strengen zu einer etwas gelockerten Form, ohne freilich notwendige Grundprinzipien aufzugeben, die nun einmal für die Erziehung junger Menschen unerlässlich sind. Von 1958–1969 hatte er die Leitung des Gymnasiums als Oberstudiendirektor inne. Auf dem schulischen Gebiet war dies eine Zeit des dauernden Umbruchs. Eine Lehrplanänderung folgte auf die andere und die naturwissenschaftlichen Fächer traten auf Kosten des humanistischen Gedankengutes in den Vordergrund. Obwohl P. Albert mit Leib und Seele Altphilologe und Historiker war, hat er doch die Zeichen der Zeit erkannt und die Naturwissenschaften in großzügiger Weise gefördert. Freilich stand er manchen Reformbestrebungen, z. B. der Orientierungsstufe oder auch der Berufsoberschule abwartend gegenüber. Das humanistische Gymnasium verstand er als eine Stätte, in der bewusst katholische Bildung möglich sein sollte, d. h. eine Bildung, die nach ihrem eigenen Wortsinn ganzheitlich und auf die Fülle der Wahrheit und Wirklichkeit ausgerichtet ist. Bei einer Jahresschlussfeier (28. Juni 1969) urteilte ein Abiturient über ihn: „Man schämte sich des eigenen dilettantischen und dürftigen Wissens, wenn uns P. Albert, der große Lehrmeister von Scheyern, während der letzten Jahre seine – ohne Abstriche kann man das sagen – glänzenden Vorlesungen hielt. Wir durften uns freuen an Horazens hintergründigen Satiren, bekamen die fast ,bayerische‘ Urwüchsigkeit des 3000 Jahre alten Homer in humorvoller Weise beigebracht, staunten über die tiefe Philosophie Senecas, ebenso wie über die tragischen Gestalten der Antigone und die geistreichen Dialoge des weisen Sokrates. Wir dürfen ohne Übertreibung sagen, uns unterrichtete eine Kapazität.“ Ein anderer jetzt prominenter, ehemaliger Schüler schreibt über ihn: „Wir haben in einer neunjährigen Internats- und Schulzeit manche Meinungsverschiedenheiten mit ihm gehabt; zugleich aber haben wir tiefen Respekt vor der Sachkompetenz, vor dem ungeheuren pädagogischen Einsatz und vor der tiefen Frömmigkeit dieses Mannes gehabt. Dieser Respekt hat sich, seit wir nicht mehr in Scheyern sind und sich die oft kleinen Alltagsprobleme verflüchtigt haben, noch erhöht.“ Es ist begreiflich, dass es für P. Albert ein schweres Opfer bedeutete, als 1969 die Scheyrer Schule als humanistisches Gymnasium der Benediktinerabtei wegen Personalmangel ihre Tore schließen musste. Seine Verdienste um die Schule haben 1974 durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Band eine verdiente staatliche Anerkennung und Ehrung erfahren.
Aber P. Albert resignierte nicht; obwohl er 1970 einen Herzinfarkt erlitt, von dem er sich erstaunlich gut wieder erholte, widmete er sich mit ganzer Kraft der wissenschaftlichen Tätigkeit. Bereits seit 1947 war er Mitglied der Bayerischen Benediktinerakademie. 1961 wurde P. Albert damit beauftragt, eine „Entstaubung“ der Akademiesatzungen vorzunehmen, um auf diese Weise ihrer Tätigkeit einen neuen Aufschwung zu geben. Aber es wurde mehr als eine „Entstaubung“. Diese Satzungen wurden grundlegend geändert. Die Akademie bekam als Vorstand einen neuen Rat, der aus einem von den Mitgliedern direkt gewählten Präsidenten, den Sektionsleitern und dem Schriftleiter der „Studien und Mitteilungen“ besteht.
Am 12. Juli 1964 wurde P. Albert zum ersten Präsidenten gewählt, einem Amt, das er bis zum 18. November 1978 innehatte. Durch seine Initiative und die Mitwirkung der treuen Mitglieder gelang es tatsächlich, trotz der bestehenden Personalnot, die Akademie neu zu beleben. So fing man 1966 an, einen Plan von Pater Aegidius Kolb in die Tat umzusetzen, dessen Verwirklichung heute noch andauert. Danach sollte die Akademie auch Aufgaben in Angriff nehmen, die nur in Gemeinschaftsarbeit geleistet werden konnten. So plante man das auf acht Bände projektierte Werk „Germania benedictina“, eine Art Handbuch über alle ehemaligen und noch bestehenden Benediktinerklöster des deutschen Sprachraums. Vier Bände sind bereits erschienen.
Die Redaktion des ersten Bandes „Reformverbände und Kongregationen im deutschen Sprachraum“, übernahm P. Albert selber. Als persönlichen Beitrag wollte er dazu „die Geschichte der Bayerischen Benediktiner-Kongregation“ schreiben. Als Vorarbeit dazu verfasste er mehrere Abhandlungen, die in „Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige“ veröffentlicht wurden, z. B.: 1967 „Die Annales congregationis Benedictino-Bavaricae, 1684-1772“; 1971 „Die Bayerische Benediktinerakademie, ihre Vorväter und ihre Wiederbegründung“; 1969/70 „Die Briefe von P. Karl Meichelbeck, Mönch von Benediktbeuern (+ 1734)“, der 1724 mit seiner Historia Frisingensis „die erste kritische, auf Urkunden und Handschriften beruhende deutsche Bistumsgeschichte in lebendiger Darstellung verfaßte“ (Lexikon für Theologie und Kirche). Das Vorbild von P. Karl Meichelbeck war auch für P. Albert bestimmend. Seine Geschichte der Bayerischen Benediktinerkongregation sollte möglichst alle verfügbaren Urkunden verwerten. Dies erwies sich freilich als langwieriger und umfangreicher, als er geahnt hatte. Viele Tausende von Photokopien und eine Unzahl handgeschriebener Zettel zeugen von seinem immensen Fleiß und seiner fast ungebrochenen Energie. So konnte er das Werk gerade wegen seiner Gründlichkeit nicht mehr vollenden.
Professor Dr. Glaser, der Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, urteilt über seine wissenschaftliche Tätigkeit: „P. Albert ist mir immer als eine ideale Verkörperung mönchischer Gelehrsamkeit erschienen, als ein Typus, von dem man annehmen konnte, dass es ihn in unserer Zeit fast nicht mehr gibt. In der Anzeige (Todesanzeige) steht, dass er bis zuletzt rastlos tätig war; gewiss hat auch die Arbeit an dem für den Wittelsbacher Katalog vorgesehenen Aufsatz ihn in den letzten Tagen beschäftigt.“
Im Kloster bekleidete P. Albert die Ämter des Consiliars (1952–70), des Subpriors (1970–74) und seit 1974 des Bibliothekars. Am 1. Mai 1978 beging er in der Freude des Herrn sein 50jähriges Professjubiläum. Seine letzte Heilige Messe feierte er bei der Jahrestagung der Benediktinerakademie am 17. November 1979 in München. In der Nacht darauf erlitt er eine Herzschwäche, der er am 19. November 1979 abends erlag.
Bei all seiner Tätigkeit als Lehrer, als Erzieher und Wissenschaftler blieb er stets ein seeleneifriger Priester als Beichtvater und Prediger und ein ganzer Mönch in der Klostergemeinschaft und im Gotteslob, dem er seine ganze Kraft und Stimme schenkte. Bei seinem Abschied von der geliebten Schule 1969 konnte er bekennen: „Ich glaube sagen zu dürfen, wir alle, die Patres in Schule und Internat, das Kloster als Ganzes, unsere treuen Helfer im Lehrerkollegium, haben, so gut wir konnten, unsere Pflicht getan. Der Herr über Zeit und Ewigkeit wolle es uns vergelten und die ausgestreute Saat reich aufgehen lassen.“
Diese Worte können wir über die ganze Wirksamkeit von P. Albert anwenden. Seine Aufgabe war es, in erster Linie Samen zu streuen und die Ernte anderen zu überlassen. Sein Leben war ein opfervolles Leben, aber dennoch ein erfülltes Leben, dem Gott der Herr die Krönung in der ewigen Anschauung schenken möge.

Anselm Reicholt OSB, Scheyern

P. Dr. phil. Hildebrand Dussler OSB (8. Oktober 1893 – 2. Mai 1979)

Am 2. Mai 1979 starb im Kreiskrankenhaus Marktoberdorf, dessen Chefarzt Dr. Wanner ihn seit Jahren wiederholt stationär behandelt hatte, P. Dr. Hildebrand Dussler OSB aus Ettal, seit 1962 Mitglied der Bayerischen Benediktinerakademie in der historischen Sektion. Sein Leben ist insofern be- und verwundernswert, als er erst in späten Jahren zur historischen und speziell heimatkundlichen Forschung überwechselte.
Am 8. Oktober 1893 in Augsburg geboren, zeitlebens von bewusst schwäbischer Art, hochbegabt und scharfsinnig, Primus des Absolventenjahrganges 1913 der Oberrealschule Augsburg, wollte er zunächst Maschinenbau- und Elektroingenieur werden, noch dazu im Zarenreich, aber der ausbrechende 1. Weltkrieg holte ihn von der TH München weg in den Schützengraben der Westfront und ließ ihn bis zum Schluss nicht los, obwohl zweimal wegen Verwundung im Lazarett. 1919 trat er ins Kloster Ettal ein und musste zunächst Latein und Griechisch nachlernen. Am 15. Februar 1920 legte er in Ettal Profess ab; in den beiden Schuljahren 1920/22 studierte er an der Ordenshochschule Sant‘Anselmo in Rom Philosophie, eine Leistung, wenn man bedenkt, dass der ganze Unterricht einschließlich Examina in Latein gehalten wurde. Dann ging‘s an die Universität München, um Theologie fortzusetzen und sich zugleich auf das Lehramt in Mathematik und Physik vorzubereiten. Schon 1923 durfte er die Priesterweihe empfangen; 1928 schloss er das Fachstudium mit einem Ergebnis ab, das vor allem im Praktischen hervorragte, und begann seinen Dienst am Gymnasium seiner Abtei. 1930 promovierte er in Würzburg summa cum laude zum Dr. phil. mit einer Dissertation „Über die didaktische Verwendung von Spiel und Spielzeug im Physikunterricht höherer Lehranstalten“; diese Arbeit wurde vom Verlag Salle (Frankfurt) 1932 übernommen und erlebte 1933 bereits eine zweite, vermehrte Auflage – bei Dissertationen eine Seltenheit. Auch später veröffentlichte P. Hildebrand noch öfters einschlägige Artikel in Fachzeitschriften (z. B. im „Archimedes“). Der Schulalltag ernüchterte ihn sehr. Gewohnt, an sich selbst hohe Anforderungen zu stellen (auch beim geliebten Bergsteigen, wo er beim „Wänd-Abkratzen“ extreme Schwierigkeiten meisterte), förderte er Hochbegabte sehr (bis zur Aufnahme in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften), hatte aber wenig Geschick und Geduld, den Durchschnittsschülern die Geheimnisse der Mathematik zu enthüllen. Nur die Hochbegabten rechtfertigten „den Opfermut, die Arbeit an den Minderbegabten als das Schulkreuz weiterzutragen.“ In so manche Fehde verwickelt, wehrte er sich energisch: „Ich bin nicht klösterliche Lehrkraft geworden um Nürnberger Trichter zu sein, sondern um Schüler zu bilden, von denen ich weiß, dass sie später einmal zur geistigen Führerschicht unseres Volkes gehören und zwar ihrer Begabung, nicht ihres materiellen Erbes oder ihrer gesellschaftlichen Beziehungen wegen.“ Die Verhältnisse waren schließlich trotz des Ausweichens an ein anderes Benediktinergymnasium so unerquicklich geworden, dass er 1938 von sich aus einen Strich darunter machte, mit römischer Erlaubnis aus dem Kloster, das er mitsamt seiner Schule im Dritten Reich gefährdet sah, austrat und sich als Offizier bei der neuen Wehrmacht reaktivieren ließ. Dort schätzte man bald seine physikalischen Kenntnisse hoch ein und verwandte ihn hauptsächlich im Waffenamt des Luftfahrtministeriums in Berlin und bei Versuchen über Kälteeinwirkung auf Waffen und Geräte in Norwegen. Ein Gallenleiden veranlasste ihn, sich im Sommer 1944 als Oberstleutnant pensionieren zu lassen. Bis Kriegsende wirkte er als Oberstudienrat an der M. Theresia-Schule in Augsburg, kehrte in Stötten am Auerberg in die Seelsorge zurück und half in Füssen bis 1949 als Oberstudiendirektor beim Ausbau der Oberrealschule.
1949 trat er erneut ins Kloster Ettal ein, ließ sich wieder als Lehrkraft am Gymnasium verwenden – und hatte die gleichen Schwierigkeiten wie zuvor, ja noch größere, da er sich mit der weitaus humaneren Behandlung der Schüler in der schola semper reformanda der Nachkriegszeit nicht abfinden konnte. Um die Duplizität vollzumachen, kam es wieder zu einem kurzen Zwischenspiel in einem anderen Benediktinergymnasium. 1956 streikten die Nerven endgültig.
Ein wahres Glück, dass er bereits mit Kriegsende begonnen hatte, seinem stets wachen und kritischen Geist autodidaktisch ein neues Betätigungsfeld zu eröffnen: die historische Heimatforschung aufgrund des archivalischen Quellenmaterials. Dieser Aufgabe konnte er sich nun voll widmen, zumal er von 1960 bis 1969 als Hausgeistlicher der Franziskanerinnen von Maria-Stern in Immenstadt mitten in seinem Forschungsgebiet saß. Bald gehörte er der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für bayerische Landesgeschichte an; ein von ihr zu seinem 80. Geburtstag in Druck gegebenes Verzeichnis aller seiner größeren und kleineren Veröffentlichungen umfasste bereits über 140 Titel. Im gleichen Jahre wurde er Ehrenbürger der Marktgemeinde Lechbruck, deren Ortsgeschichte er erforscht und erstmals dargestellt hatte. Beiträge zur Ortsgeschichte lieferte er außerdem für Bayersoien, Benediktbeuern, Bernbeuren, Buchloe, Füssen, Kaufbeuren, Kochel, Leeder, Martoberdorf, Nesselwang, Pfronten, Rottenbuch, Saulgrub, Schongau, Steeg, Steingaden u. a. In den von der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft herausgegebenen Sammelbänden „Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben“ ist er seit 1956 in sämtlichen Bänden mit Beiträgen vertreten, die ein breites Spektrum seiner Interessen verraten: Der Barockbaumeister Johann Jakob Herkomer; der Sailerfreund Erweckungspriester Martin Boos; der Chirurg Alois v. Fröhlich; die beiden Lambacher Reformäbte Burkard Furtenbach und Placidus Hieber aus Füssen; der Bildhauer Roman Anton Boos; der Führer der Allgäuer pietistischen Erweckungsbewegung Johann Michael Feneberg; der Freisinger Professor Magnus Jocham, der sich selbst „Obskurant“ nannte; der Bildschnitzer Jörg Lederer; der nach den USA ausgewanderte Redemptoristen Franz Xaver Seelos und der nicht minder heiligmäßige Kapuzinerbruder Georg Erhart aus Pfronten. Einige davon hat er noch gesondert und ausführlicher in den „Allgäuer Heimatbüchern“ des Verlags für Heimatpflege in Kempten herausgestellt, wobei der Pfarrer Magister Hieronymus Tauler hinzukam, dessen Erlebnisse vor und während dem 30jährigen Krieg die Leiden des Allgäus widerspiegeln. Bei den Künstlermonographien liegt das Schwergewicht nicht im Ästhetischen, sondern in den genealogischen Wurzeln, in den Lebensfakten. Kein Wunder, dass P. Hildebrand auch größere geistige Bewegungen darstellte wie die Erweckungsbewegung pietistischer Art im Allgäu oder die Auswirkungen der Französischen Revolution bei den Untertanen des Hochstifts Augsburg im Bezirk Marktoberdorf. Eine Fundgrube bildeten schließlich die Reiseberichte aus früheren Jahrhunderten, von denen er nicht nur zwei Bände edierte, sondern auch viele lokale Artikel speiste. Fast zwangsläufig musste er sich mit den Weg- und Straßenverhältnissen jener keineswegs romantischen Postkutschenzeit befassen; daraus resultierte die überaus gründliche „Geschichte der Ettaler Bergstraße“, die nicht nur uns in Ettal sehr interessierte und freute, sondern auch viele andere; sie gilt als Muster für ähnliche Untersuchungen.
Er selber reiste nur noch ungern, angewiesen auf eine spezielle Diät und Pflege. Sogar als die Historische Sektion in seiner Nähe tagte (Kempten, Füssen), ließ er sich entschuldigen. Trotzdem steuerte er Artikel für besondere Anlässe bei, z. B. für Benediktbeuern ein Lebensbild über P. Ägidius Jais (nach Jocham) oder die auf Marktoberdorf hinweisende genealogische Abstammung des P. Carl Meichelbeck. Er durfte sein Lebenswerk als abgeschlossen betrachten, in keiner Beziehung frustriert. Vor Jahren sagte er bei einer Klosterbeerdigung in seiner unbekümmerten Art: „Ich verstehe nicht, warum wir da so ein trauriges Getue haben. Alleluja sollten wir singen, wenn wir wieder einen von uns glücklich im Kreuzgang abgeliefert haben.“ Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Nun ruht er selbst im Ettaler Kreuzgang, und in der nachkonziliaren Liturgie brennt beim Requiem die Osterkerze und wird das Alleluja gesungen. R. I. P.
Stephan Schaller OSB, Ettal