1984

P. Dr. theol. Zeno Bucher OSB (26. Dezember 1907 – 23. August 1984)

Völlig überraschend hat uns in St. Ottilien am Spätabend des 23. August aus Dußnang in der Schweiz die Nachricht vom plötzlichen Tod unseres P. Zeno Bucher erreicht. Acht Tage zuvor hatte ich ihn an seinem neuen und letzten Wirkungsort noch besucht und anscheinend bei wirklich guter Gesundheit angetroffen.
P. Zeno stammte aus dem Kanton Luzern. In Wolhusen ist er am 26. Dezember 1907 als drittes von sieben Kindern dem Briefträger Alfred Bucher und Maria geb. Huber geworden worden. In der hl. Taufe erhielt er die Patrone Richard und Stephan, letzteren wohl mit Rücksicht auf seinen Geburtstag. Als Richard zwölf Jahre alt war, starb der Vater. Die Familie siedelte nach Ruswil über, was einen Schulwechsel bedeutete. Der 13jährige konnte in Disentis das Gymnasium beginnen. Noch nach der 2. Klasse trat er ins Missionsseminar in St. Ottilien ein. Er wollte Missionar werden. Am Ende der 3. Klasse hatte er sich einer Mandeloperation zu unterziehen, wobei er sehr viel Blut verlor und ein halbes Jahr aussetzen musste. Er studierte auf Anraten dann in Immensee weiter, wo er im Sommer 1929 die Matura machte. Anfangs Oktober wurde er in St. Ottilien als fr. Zeno ins Noviziat aufgenommen. Wie er zum Namen Zeno kam, lässt sich nicht mehr klären. Doch muss man bedenken, dass damals in der Ottilianer Kongregation das Gesetz bestand, dass derselbe Name nur einmal unter den Chormönchen oder Brüdern vergeben wurde, und die bekannten Heiligen waren damals längst in einem unserer Konvente vertreten.
Am 11. Oktober 1930 legte fr. Zeno seine erste Profess ab und wurde danach nach S. Anselmo in Rom geschickt. Er erhielt den Auftrag, in Philosophie zu promovieren, da die Philosophische Hochschule in St. Ottilien nach der Aussendung des Rektor der Schule, P. Rupert Klingseis, Ersatz brauchte. Auf dem Gebiet der Naturphilosophie hat fr. Zeno überaus wichtige Anregungen P. Beda Thum zu verdanken, doch hat er seine Dissertation bei P. Beat Reiser eingereicht (1935). Daraufhin studierte er noch ein Jahr Theologie in München. Zum Priester war er im Oktober 1934 geweiht worden. Als Lektor begann er seine akademische Laufbahn 1936 in St. Ottilien. Der Ausbruch des Krieges veranlasste ihn, in die Schweiz heimzukehren. Er wurde Solatium des Superiors in Uznach und arbeitete sich in den Kriegsjahren sehr gut in alle Formen der außerordentlichen Seelsorge ein. Ein Jahr allerdings (1940/41) studierte er in Fribourg Naturwissenschaften.
Das Spezialgebiet P. Zenos war die Naturphilosophie, mit der sich schon seine Dissertation beschäftigte. Auf diesem Gebiet entfaltete er im Lauf der Jahre eine fruchtbare publizistische Tätigkeit. Der Dissertation mit dem Titel „Das Problem der Materie in der modernen Atomphysik“ (St. Ottilien 1939) folgten „Die Innenwelt der Atome“ (Luzern 1946), „Wandel im Weltbild der Naturphilosophie“ (Donauwörth 1946) sowie nach zahlreichen Aufsätzen die große Zusammenfassung seiner Forschungsarbeit in „Natur – Materie – Kosmos“ (St. Ottilien 1982). P. Zeno war bemüht, in seinen Vorlesungen den Hörern die schwierigen Probleme, vor allem der Naturphilosophie und Logik, leicht fassbar auszubreiten.
Mit neuem Eifer begann er 1947 seine akademische Tätigkeit, als in St. Ottilien die Ordenshochschule wieder eröffnet wurde. Als dann P. Chrodegang Hartmann im Oktober 1953 starb, rückte P. Zeno als Rektor nach. 1960 wurde er als außerordentlicher Professor nach S. Anselmo/Rom berufen und wurde 1962 ordentlicher Professor. In den Sommersemestern aber las er in seiner Heimatabtei und einige Jahre auch im Philosophiekurs in St. Stephan in Augsburg. Die bayerischen Benediktiner honorierten Letzteres durch seine Aufnahme in die Bayerische Benediktinerakademie (1965). 1967 wurde P. Zeno Dekan der Pilosophischen Fakultät in S. Anselmo. 1971 erhielt er einen Ruf als ordentlicher Universitätsprofessor an das Philosophische Institut der Theologischen Fakultät in Salzburg. Hier hatte er Christliche Metaphysik und Naturphilosophie zu lehren. Schon im folgenden Jahr wurde er Präses dieses Instituts. 1978 wurde er emeritiert. 1973 übernahm P. Zeno das Amt des Spirituals in der Benediktinerinnenabtei Nonnberg in Salzburg, später dasselbe Amt noch in zwei anderen Salzburger Frauenkonventen. Nebenbei arbeitete er am genannten Werk „Natur – Materie – Kosmos“, das seine naturphilosophischen Erkenntnisse zusammenfasst. Nachdem es im Druck erschienen war, kehrte er nach St. Ottilien endgültig zurück.
P. Zenos seelsorgerlichen Einsatz hat der Salzburger Oberhirte in besonderer Weise dadurch anerkannt – wie wir erst anlässlich seines Todes in Erfahrung brachten –, dass er ihn zum erzbischöflichen Konsistorialrat ernannte. In der Ernennungsurkunde heißt es: „Ich möchte damit vor allem meinen Dank und meine Anerkennung für Ihre Tätigkeit als Universitätsprofessor und Ausbildner der jungen Priesterkandidaten und Laientheologen, sowie für Ihre treuen Dienste als Schwesternseelorger zum Ausdruck bringen.“
P. Zeno hat seine akademische Tätigkeit in hohem Grad als missionarisch-seelsorgliche Tätigkeit betrachtet und war bestrebt, den heranzubildenden Missionaren, Mönchen und Priestern das solide Fundament eines im Glauben verwurzelten, aber auch wissenschaftlich gediegen basierten Wissens zu vermitteln. Immer wusste er sich als Seelsorger. So war es auch für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass er nicht nur überaus eifrig Seelsorgsdienste in Klöstern und Pfarreien leistete, sondern sich auch 1950 bereit fand, für zehn Jahre, neben seiner Vorlesungstätigkeit und Inanspruchnahme durch die Hochschule, hauptamtlich als Pfarrvikar das acht Kilometer entfernte Schwabhausen zu versehen. Zugute kam ihm seine reiche Veranlagung und Bildung. Zunächst seine edle Grundhaltung in allem und allen gegenüber, eine echte Güte, die wohltuend ausstrahlte, sodann seine tiefe Frömmigkeit, die seinen Worten Überzeugungskraft und Tiefe gab. Eine bescheidene, frohe, edle gesellige Art war ihm außerdem eigen. Das Musische lag in seinem Wesen. Und es war ein Genuss für die Zuhörer, wenn er etwa in einem Gesangsquartett mit seinem wohlklingenden Bariton treffsicher den Baßpart übernahm. So fand er Zugang zu allen Altersstufen und sozialen Schichten der ihm Anvertrauten.
Vor allem aber war der liebe Verstorbene im innersten Herzen Mönch und liebte sein Professkloster, wie er auch treu zu den missionarischen Aufgaben unserer Kongregation stand. Bezeichnend dafür ist, was sich heuer anfangs März zutrug. Als ihn derKonvent der Olivetanerinnen in Dußnang – es sind etwa 40 Schwestern – als Spiritual für ihr Kneipp-Kurheim erbaten, folgte er dem Ruf, obwohl er wenige Monate zuvor eine schwere Lungenentzündung mit Rückfällen durchgemacht hatte, und übernahm die dortigen Aufgaben, auch in der Haushaltsschule (Religionsunterricht) samt der seelsorglichen Betreuung der etwa 150 stets wechselnden Kurgäste, bereitwillig. Als ein Mitbruder beim Zusammenpacken feststellte, dass er die meisten seiner Bücher zurückließ, sagte P. Zeno: „Ich gehöre hierher, und hier will ich einmal begraben sein.“ Am 23. August dieses Jahres ereilte ihn der Herztod während eines Ausflugs mit den Schwestern und der Schule auf die Churfirsten. Es herrschte an diesem Tag ein überaus starker Föhn. Diesem war seine Konstitution anscheinend nicht mehr gewachsen. Am 27. August haben wir ihn in St. Ottilien zu Grabe getragen.
Wenn man lange Jahre in der unmittelbaren Nähe P. Zenos gelebt hat, war man immer wieder beeindruckt von seiner Einfachheit, Bescheidenheit und Güte, aber auch von seinem zähen Fleiß, seinem unerbittlichen Ringen mit den Problemen. In Fachkreisen fand er Beachtung und Anerkennung. Mit dem Biophysiker Friedrich Dessauer stand er meines Wissens mehrfach in Gedankenaustausch. Gute Beziehungen pflegte er zu seinem Landsmann Adolf Portmann, den er öfter traf. Das große Anliegen seines Schaffens und Strebens aber war dies, seinen vielen Schülern den Weg zu einem tieferen Verständnis des Kosmos und seines Schöpfers aufzuzeigen. Und so war er ein großer Künder, ein Wegweiser, der aus den Irrungen des Materialismus und Monismus auf das Transzendentale, auf Gott und die wunderbare Ordnung im Kosmos hinwies.

Frumentius Renner OSB, St. Ottilien