2012

P. Dr. Joachim Salzgeber OSB (28. Mai 1926 – 17. Februar 2012)

Der spätere P. Joachim wurde als Wilhelm in eine St. Galler Kaufmannsfamilie mit Vorarlberger Wurzeln hineingeboren. Wer den eher schüchternen, aber zu viel Schalk aufgelegten Benediktiner in späteren Jahren kennen lernte, konnte nicht erahnen, dass er einst ein wilder und vorlauter Junge war. Seine vorzügliche Begabung ermöglichte das Gymnasialstudium. Aber der richtige Ort dafür war nicht leicht zu finden, auch der Gesundheit wegen. Nach Stationen an der Kantonsschule St. Gallen und in der Stiftsschule Disentis wurde die von den Murenser Benediktinern geführte Obwaldner Kantonsschule in Sarnen der geeignete Ort zur Erlangung der Matura. Der nicht ganz untergegangene Genius loci von St. Gallen führte Wilhelm nach dem Militärdienst und einem Studienjahr in Fribourg (spekulative Philosophie, Hebräisch, Patrologie) ins Kloster Einsiedeln. Hier erhielt er den Ordensnamen Joachim. 1952 war das Jahr der Feierlichen Profess und der Priesterweihe.
Die darauf folgenden Jahre waren gewissermaßen typisch für den Umgang des Klosters Einsiedeln mit jungen Mönchen, aber belastend für Betroffene. Nach einem Versuchsjahr an der Stiftsschule folgten zwei Jahre als Lehrer in Marienberg. Anschließend arbeitete er als Kooperator in der Propstei St. Gerold, wo er seine Walser Wurzeln aufleben lassen konnte.
Das Studium der Geschichte ab 1958 in Löwen war ein Befreiungsschlag für den intellektuell wachen Mönch. Für die Promotion wählte er das Thema „Die Klöster Einsiedeln und St. Gallen im Barockzeitalter. Historisch-soziologische Studie“, die 1966 veröffentlicht wurde. Nüchtern wird die Klostergeschichte von unten betrachtet, was bei einigen Klosterapologeten mit einseitiger Vorliebe für geistiges Nasenrümpfen sorgte. Leider hat P. Joachim in der Folge keine größeren Arbeiten dieser Art in Angriff genommen, sondern zahllose kleine Artikel und Broschüren publiziert. In der Klosterzeitschrift „Maria Einsiedeln“, die er zwischen 1981 und 2003 redigierte, konnte er liebevoll kleinste Details zur Klostergeschichte ausbreiten. Auch die Nachfolgeorgane „Kloster Einsiedeln“ und „Salve“ profitierten von seinem Fleiss, seinem Humor und seiner Poesie. Zum 80. Geburtstag erschien eine Auswahl der Artikel unter dem Titel „Das Kloster Einsiedeln – erforscht und erzählt von Pater Dr. Joachim Salzgeber“. Das dankbare Publikum schätzte die Beiträge sehr, umso mehr, wenn autobiographische Missgeschicke Anlass zum Sinnieren waren. Die Verzettelung in vielen Aufgaben wurde allerdings zum Stolperstein für  den  Beitrag  „Einsiedeln“  in  den  Benediktinerbänden  der  Helvetia sacra, welcher der Bedeutung der Abtei nicht gerecht wird. P. Joachim tat sich sehr schwer daran und war auch nicht mehr auf dem richtigen Stand der Forschung und der Fragestellungen.
Zu den vielen Aufgaben zählte seit 1968 die Betreuung des Archivs. P. Joachim war ein Schatzhüter alter Prägung, der sich der Bedeutung der historischen Überlieferung bewusst war. Er erkannte wohl, dass er mit seinem beeindruckenden Wissen allein war und dass seit rund zwei Jahrhunderten die Erschließung, die Ordnung und die Raumverhältnisse längst nicht mehr den Erfordernissen entsprachen. Das lastete enorm auf ihm, aber in seiner Bescheidenheit und Schüchternheit wollte er die Oberen nicht mit weit gehenden Forderungen und schwerwiegenden Problemen überraschen. Deshalb war es für ihn eine unschätzbare Erleichterung, dass mit tatkräftiger Hilfe von Prof. Roger Sablonier sel., der sein Vertrauen dank Fachkenntnis und Einfühlungsvermögen gewonnen hatte, das Jahrhundertprojekt der Archivreorganisation begonnen werden konnte. Soweit es seine Kräfte noch zuließen, stand er der jungen Archivequipe uneigennützig und demütig zur Seite.
Im Noviziat und in der Theologischen Schule des Klosters unterrichtete er Kirchen- und Ordensgeschichte. Sein grosses Wissen blitzte zuweilen auf, aber in einer Art Selbstschutz nahm er sich zu sehr zurück und vermied allzu große Anforderungen.
Zur unermüdlichen Schriftstellerei, zu der auch die Klosternachrichten „Konventglöckli“ zu zählen sind, kam noch die Seelsorge hinzu. Vier Jahrzehnte lang betreute er excurrendo die Einsiedler Viertelspfarrei Trachslau. Außerhalb des Klosters konnte sich P. Joachim freier geben und fand leichter den Kontakt mit den Menschen. Seine Anspruchslosigkeit öffnete ihm die Herzen der Landleute. Das Überlandgehen lud ihn zur Nachdenklichkeit über die Naturvorgänge ein, die ihm immer wieder Gleichnis für das menschliche Leben waren.
Seit 1989 war P. Joachim Mitglied der Bayerischen Benediktinerakademie. Gerne reiste zu den Jahrestagungen, die ihm Horizonterweiterung und mitbrüderliche Begegnungen schenkten. Gleiches galt für die Tagungen der Arbeitsgemeinschaft geistlicher Archive in der Schweiz und für die Versammlungen verschiedener Historischer Vereine.
P. Joachim ist dennoch nicht die Summe seiner unermüdlichen Tätigkeiten. Er war ein vorbildlicher Mönch, der sein Leben im Licht des Evangeliums gestalten wollte. So lange es ging, trug er treu das Chorgebet mit und nahm am Konventleben Anteil. Er musste schweren Herzens in den letzten zehn Jahren vieles nach und nach abgeben und die Gebrechlichkeit annehmen. Ein dankbarer Mensch ist nun zu seinem Herrn heimgekehrt.

Gregor Jäggi OSB, Einsiedeln