1982

Abt Emmanuel Maria Heufelder OSB (30. März 1898 – 8. September 1982)

Am 8. September 1982, am Fest Mariä Geburt, starb in der Benediktinerabtei Niederaltaich Altabt Emmanuel Maria Heufelder. Er ging mit der gleichen leisen Selbstverständlichkeit, mit der er gelebt hatte, ganz gesammelt und doch den Menschen um ihn herum zugewandt, zugleich ganz gelöst in der vertrauenden Zuversicht, mit der er sein Leben geborgen wusste in der Liebe Gottes.
Die früh verwitwete Mutter hatte den am 30. März 1898 in Bad Tölz geborenen jüngeren ihrer beiden Söhne, Josef – so Abt Emmanuels Taufname –, in das Internat der Benediktinerabtei Schäftlarn gegeben. Hier durchlief er das Progymnasium. Nach dem Abitur in St. Stephan in Augsburg und nach Teilnahme am 1. Weltkrieg trat er in Schäftlarn 1919 auch in das Noviziat ein. Nach den Jahren der theologischen und philosophischen Studien an der Universität München – am 1. Juli 1923 hatte Kardinal Faulhaber ihn in München zum Priester geweiht – übernahm er in seinem Kloster pädagogische Aufgaben als Erzieher und als Lehrer für Deutsch, Latein, Griechisch und Geschichte. Bald wurde ihm auch das Amt des Subpriors übertragen.
Schon damals war er in der Kongregation kein Unbekannter mehr. 1928 war er Mitglied der Bayerischen Benediktiner-Akademie geworden – er hat ihr 54 Jahre lang angehört. In der „Benediktinischen Monatsschrift“ wie in den „Studien und Mitteilungen“ hatte er mehrere Artikel veröffentlicht: Zunächst in dem seinem von ihm hochverehrten Abt Sigisbert Liebert zum goldenen Priesterjubiläum am 7. April 1924 gewidmeten Heft der Benediktinischen Monatsschrift (2/1924} zwei Beiträge: „Priester und Mönch“ und „Der Einheitsgedanke im kirchlichen Leben der Fasten- und Osterzeit“. 1928 schrieb er in der Benediktinischen Monatsschrift einen längeren Beitrag über „Weltanschauung und höheren Schule“ (mit Fortsetzungen bis in die Jahre 1929) und in den „Studien und Mitteilungen“ einen Aufsatz „Der Prolog zur Regel des heiligen Benedikt“. Der Regel des hl. Benedikt hat Abt Emmanuel sich immer zugewandt; am bekanntesten wurde sein Buch: „Der Weg zu Gott nach der Regel des heiligen Benedikt“ (Dülmen 1948, 2. Auflage Würzburg 1964), von dem der Verlag der Amerikanischen Trappisten (Cistercian Publications) zur Zeit eine englische Ausgabe vorbereitet.
1934 hatte die erste Phase im Wirken Pater Emmanuel Heufelders ein unerwartetes Ende, es begann seine eigentliche Lebensaufgabe: Seitens der Kongregationsleitung, unterstützt vom Abtprimas persönlich, erging an ihn der Ruf, nach Niederaltaich zu gehen, um diesem erst 1918 wiederbesiedelten altehrwürdigen Kloster in einer Zeit der Krise eine tragfähige geistliche Ausrichtung zu geben – zunächst als Prior; 1949 wurde er Abt von Niederaltaich.
In seiner neuen Aufgabe nun zeigte sich schnell, dass er alles andere war als ein welterfahrener Taktierer, gerade so aber für viele zum Wegweiser wurde, weil er über Schwierigkeiten nicht lange nachgrübelte, sobald er irgendwo ein Zeichen erkannt hatte, das ihm die unerschütterliche Gewissheit gab: So ist es der Wille Gottes. Mit prophetischer Sicherheit ging er in der Freiheit der Kinder Gottes auf seinem Weg – lange vor dem II. Vatikanischen Konzil – immer wieder unkonventionelle Schritte: sei es in seinem Bemühen um eine Erneuerung der klösterlichen Liturgie sowie des Laienmönchtums, sei es durch seine seit1962 verwirklichte Idee, Menschen unserer Tage für einige Wochen zu einem „Kloster auf Zeit“ einzuladen, vor allem aber mit seinem ökumenischen Engagement, der Leidenschaft seines Lebens.
„In Christo unum“ – ,,Eins in Christus“, das war nicht nur der Wahlspruch Abt Emmanuels, das war seine Leidenschaft. Er litt unter der Gleichgültigkeit, mit der dieses Herzensanliegen Christi so oft in der Kirche verhallt.
„Die ersten Anfänge der ökumenischen Arbeit Niederaltaichs liegen, ohne dass lch es ahnen konnte, in meinem Noviziatsjahr“, schrieb Abt Emmanuel rückblickend: ,,Ich beschäftigte mich damals sehr mit dem Johannesevangelium und war stark beeindruckt von der Bitte des Herrn im Hohenpriesterliehen Gebet, daß ,alle eins sein‘ sollen. Sie erschien mir als unmittelbarster Ausdruck des Zieles der Schöpfung und Erlösung, die Menschheit zu einer Einheit zusammenzufassen, die ein Abbild der Einheit der göttlichen Personen in der Trinität sein sollte: ,sie sollen eins sein, wie wir eins sind‘. Ich erinnere mich nicht, das Wort ,Ökumene‘ oder ,ökumenisch‘ damals gelesen oder gehört zu haben, auch nicht in den Jahren des theologischen Studiums Anfang der 20er Jahre an der Universität München. In den Vorlesungen, besonders in der Kirchengeschichte, wurden uns die Spaltungen in der Christenheit und die Verschiedenheiten der christlichen Konfessionen sachlich vorgetragen. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass auch nur der Gedanke ausgesprochen wurde, dass etwas geschehen könnte oder müsste, um diese Spaltungen einmal wieder zu beheben.“
Am Benediktustag (21. März) 1924 rief Papst Pius XI. mit seinem Apostolischen Schreiben „Equidem verba“ unter Hinweis auf Johannes 17 die Benediktiner zur Mitarbeit am Werk der Einigung der Kirchen des Ostens und des Westens auf. Als Emmanuel Heufelder 1934 nach Niederaltaich kam, bot sich ihm Gelegenheit, die Anregungen des Papstes aufzugreifen. Sein Unternehmungsgeist brachte ihn schnell in Kontakt mit vielen, die damals in Deutschland ein besonderes Interesse für die geistliche Tradition der Kirchen des Ostens zeigten. Am Anfang stand eine enge Zusammenarbeit mit Akademikern und Studenten – zum großen Teil Theologen – aus dem ND-Älterenbund, der aus der katholischen Schülertradition „Neudeutschland“ hervorgegangen war. Der ND-Älterenbund war von zwei Seiten her zur Beschäftigung mit den Kirchen des Ostens gekommen: angeregt einmal durch die Ostkirchentage in den Priesterseminaren, zum anderen durch seine Arbeit unter den Volksdeutschen in den Gebieten Südosteuropas, in denen auslandsdeutsche römische Katholiken mit Christen unierter wie auch orthodoxer Ostkirchen zusammenleben. Soweit das damals möglich war, besuchte Prior Emmanuel selbst in den Jahren 1935 und 1938 solche Länder Südosteuropas. Im März 1936 fanden in Niederaltaich erstmalig Ostkirchentage statt, im November des gleichen Jahres folgte ein „Ostkirchlicher Werkbrief“. Darin schrieb Prior Emmanuel: „Unionsarbeit ist uns persönliche Gewissenssache, weil wir die Spaltung der Christenheit als die brennendste Not der Gegenwart empfinden und in ihrer Überwindung die dringendste Aufgabe der jetzigen christlichen Generation sehen. Unionsarbeit legt uns auch persönlich aszetische Verpflichtungen auf, weil zu ihr, wenn sie fruchtbar sein soll, eine entsprechende seelisch-aszetische Einstellung unerlässlich ist.“ Theologisch sei die Klärung des „Kirchenbegriffs“ für die Union von entscheidender Bedeutung. Dazu sei es nötig, „auch Sätze und Thesen zu bringen, die Widerspruch herausfordern müssen und angegriffen werden können, eben damit ein ernstes Ringen um die rechte Erkenntnis und eine klärende Aussprache darüber erwachse“.
Eine weitere, heute noch beachtenswerte Publikation aus jener Zeit ist der 1939 von J. Tyciak, G. Wunderle und P. Werhun auf Anregung Heufelders im Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, herausgegebene Sammelband „Der christliche Osten. Geist und Gestalt“, für den er selber einen Aufsatz verfasste: ,,Das Band der Einheit. Ein benediktinischer Beitrag zum Unionsproblem“. In Niederaltaich ist aus diesen Anfängen nach dem II. Weltkrieg eine eigene „Dekanie“ von benediktinischen Mönchen im byzantinischen Ritus herausgewachsen, die ihre Präsenz in einem abendländischen Kloster als ,,gelebte Vermittlung“ versteht.
Das ökumenische Institut der Abtei Niederaltaich beschränkt sich freilich nicht auf die Beschäftigung mit den Kirchen des Ostens. Es hat ebenso die im Abendland entstandenen konfessionellen Gegensätze und die hier wirksamen geistlichen Impulse im Auge. Hierzu erhielt Emmanuel Heufelder seit 1938 die entscheidenden Anstöße durch Kontakte zu verschiedenen Una Sancta-Kreisen und besonders durch die Begegnung mit Max Joseph Metzger, der 1939 die „Una-Sancta-Bruderschaft“ ins Leben rief, ,,eine lose, geistige Gemeinschaft all derer, die eine Verständigung der christlichen Bekenntnisse anstreben“ und als deren „Rundbrief“ unsere Zeitschrift „UNA SANCTA“ nach dem Krieg entstanden ist. 1939 und 1940 nahm Emmanuel Heufelder an den Meitinger ökumenischen Gesprächen teil, und im August 1947 fand zum ersten Mal in Niederaltaich eine größere Una-Sancta-Tagung statt. Auf der „Una-Sancta-Veranstaltung“ während des Eucharistischen Kongresses in München 1960 – zu Beginn des Pontifikates Johannes XXIII. – durfte Abt Emmanuel erfahren, dass das ökumenische Anliegen inzwischen weite Kreise in der katholischen Kirche unseres Landes erfasst hatte. Mario von Galli nannte ihn damals in einem Rundfunkkommentar den „ökumenischen Abt Deutschlands“.
Mit Vollendung seines 70. Lebensjahres hat Emmanuel Heufelder 1968 die Leitung seines Klosters in jüngere Hände gelegt. Doch waren ihm noch mehr als 14 Jahre in erstaunlicher geistiger und körperlicher Lebendigkeit vergönnt. Er hat sie unter ein Wort des von ihm so hoch verehrten Papstes Johannes XXIII. gestellt: „Auch die letzte Lebensspanne will gläubig gelebt werden. Sie ist die Vigil vor dem Fest der Ewigkeit.“ Auch in dieser Zeit durfte er ein ökumenisch-weltweites Echo auf sein Wirken und viele Zeichen der Verehrung und des Dankes erfahren – ganz persönlich von vielen einzelnen Menschen, aber auch seitens der Öffentlichkeit: durch die Ehrenpromotion zum Doktor der Theologie seitens des katholisch-theologischen Fachbereichs der Universität Regensburg; durch die Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes und des Bayerischen Verdienstordens, aber auch der Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Niederaltaich, des Lebensraumes, mit dem das Kloster ja aufs engste verflochten ist. Seine Mitbrüder haben ihm zweimal eine Festschrift gewidmet: 1968 unter dem Titel „Hören Sein Wort“ und 1978 unter seinem Leitwort „Eins in Christus“. Letztere enthält auch eine umfassende Bibliographie und von ihm selbst aufgezeichnete Erinnerungen. In drei kleinen Büchlein – alle drei im Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, erschienen – hat er unter den kennzeichnenden Titeln „Weite des Herzens“ (1971, 2. Auflage 1979), ,,Christus in euch“ (1976, 2. Auflage 1982) und „Das Geheimnis der Dreifaltigkeit“ (1979) noch einmal zusammengefasst, was er oft und oft seinen Zuhörern vorgetragen hat.
Prof. Dr. Norbert Brox von der Theologischen Fakultät Regensburg sagte in seiner Ansprache während der Trauerfeierlichkeiten über Abt Emmanuel: „Was er gegeben hat, können nicht viele geben – Impulse für ein Christsein jetzt, konkrete Wege, die viele gehen können, für die sie eine Weisung brauchen –, und das so ganz unfanatisch, aus einem profunden, liebenden Herzen. Das Herz dieses Mannes sprach zu jedem, der ihm begegnete. Aus ihm sprachen die Humanitas und die Christianitas, die sein benediktinisch-monastisches Erbe waren und zugleich der ihm eigene Glaube.“

Gerhard Voss OSB, Niederaltaich