2018

Prof. Dr. Rudolf Schieffer (31. Januar 1947 – 14. September 2018)

„70 Jahre in 30 Minuten“ – unter diesem Titel erzählte Rudolf Schieffer, der gewöhnlich mit persönlichen Bemerkungen sehr zurückhaltend war, aus seinem Leben, als er 2017 in Bonn seinen 70. Geburtstag feierte. Mit feinem Humor stellte er eigene Lebenserinnerungen in den Kontext der Geschichte, deren Erforschung er seine ganze Kraft gewidmet hatte. Seit wenigen Jahren erst im Ruhestand, genoss er es, endlich ganz selbstbestimmt arbeiten zu können. Niemand ahnte, wie wenig Zeit ihm dazu bleiben sollte. Im September 2018 ist er nach kurzer Krankheit, aber doch überraschend in seiner Bonner Wohnung gestorben.
Rudolf Schieffer wurde am 31. Januar 1947 in Mainz als Sohn des Mittelalterhistorikers Theodor Schieffer (1910-1992) und dessen Ehefrau Annelise geb. Schreibmayr (1915-1981) geboren. Seit 1954 wuchs er mit zwei jüngeren Schwestern in Bad Godesberg auf, wo die väterliche Familie alteingesessen war. Verwurzelt in einem ausgeprägt katholischen Elternhaus, legte er am dortigen Aloisiuskolleg der Jesuiten 1966 das Abitur ab. Rudolf Schieffer führte sein Leben aus einem tiefen Glauben. Dieser mag ihn, kaum über vierzigjährig, durch zwei schwere gesundheitliche Krisen getragen haben.
Schon als junger Gymnasiast begeisterter Lateiner, studierte er von 1966 bis 1971 Geschichte und Latein in Bonn und Marburg. Er entschied sich nach eigenem Bekunden für die mediävistische Geschichtswissenschaft, weil er in diesem Fach sein kirchengeschichtliches Interesse am besten verfolgen konnte. Rudolf Schieffers respektgebietend umfangreiches wissenschaftliches Werk, das mit gleich vier Aufsätzen 1971 im Jahr des Staatsexamens einsetzte, darunter einem grundlegenden zum Register Papst Gregors VII., umspannt hauptsächlich die Zeit von der christlichen Spätantike bis zum 12. Jahrhundert. Es greift aber auch darüber hinaus, so etwa mit einer Studie zum Bischofsamt des Albertus Magnus oder Beiträgen zur Mediävistik des 19. und 20. Jahrhunderts. Seine Manuskripte schrieb er bis zuletzt von Hand, formulierte im ersten Anlauf druckreif, wie man in öffentlichen Bibliotheksräumen, die er dabei häufig nutzte, beobachten konnte. Thematisch reizten Rudolf Schieffer vornehmlich Probleme der kirchlichen Rechts- und Verfassungsgeschichte, deren Verflechtung mit der politischen Geschichte sowie quellenkundliche Fragen, besonders wenn sie einen frischen Blick auf traditionelle Forschungsthemen freigaben.
Nachmals Experte für die Karolingerzeit, promovierte Rudolf Schieffer, der als Doktorand dienstlich am Seminar für Alte Geschichte einen großen Indexband zur Aktenüberlieferung der spätantiken Reichskonzilien erarbeitete, 1975 in Bonn bei Eugen Ewig über „Die Entstehung von Domkapiteln in Deutschland“. Er zeigte, dass sich der Kathedralklerus an den bis zum Anfang des 10. Jahrhunderts errichteten Bischofskirchen abhängig von der jeweiligen Genese der Bischofssitze entwickelte und unterschied fünf regionale Entwicklungsformen. Teils kam dabei monastischen Einflüssen große Bedeutung zu. So stand in den Bistümern der angelsächsischen Mission ein Domkloster am Anfang, während die Kirchenorganisation in Bayern an bestehende Klöster anknüpfte. Ebenso maßgeblich waren seine Erkenntnisse zur Wirkungsgeschichte der Aachener Regel für Kanoniker, die er als Ausdruck des Versuchs deutete, monastische und kanonikale Lebensweise klar zu trennen, obschon sie gleichzeitig auf eine Monastisierung des Klerus zielte.
Schon früh waren Rudolf Schieffers Leben und Wirken mit den Monumenta Germaniae Historica verbunden. 1975 ging er als Mitarbeiter des Instituts nach München. Aus diesem Lebensabschnitt rührte seine editorische Beschäftigung mit den Briefen und Schriften Hinkmars von Reims, der eine führende Rolle im Episkopat und der Politik des Westfrankenreichs spielte. Erschienen sind 1980 eine zweisprachige Ausgabe von „De ordine palatii“, eines Traktats zum Herrschaftsaufbau und der königlichen Amtsführung, sowie 2003 eine Edition von Streitschriften, die im Zuge von Konflikten Hinkmars mit seinem Suffragan Hinkmar von Laon um Kirchenbesitz und die Kompetenzen der Metropoliten verfasst wurden. Nur wenige Wochen vor seinem Tod legte Rudolf Schieffer einen Teilband der großen Briefedition vor, die er frei von beruflichen Verpflichtungen bald hatte vollenden wollen. Vermutlich interessierte ihn am „Charakterkopf“ Hinkmar auch, dass er sich in gewissem Maß als geschichtlich handelnder Mensch biographisch fassen lässt. Dies gilt auch für Gregor VII., die andere Persönlichkeit, mit der sich Rudolf Schieffer vielfach wissenschaftlich auseinandersetzte. Bemerkenswert, dass er schon in jungen Jahren 1978 einen „Versuch über die historische Größe“ wagte. 2010 publizierte er zu Gregor VII. ein biographisches Taschenbuch, das auf aktuellem Forschungsstand ein breiteres Publikum ansprach. Vor allem aber beschäftigte sich die 1979 in Regensburg eingereichte Habilitationsschrift „Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König“ mit dem berühmten Papst. Darin kam er zu dem viel diskutierten Ergebnis, dass die Investiturfrage nicht der entscheidende Auslöser für den Ausbruch des Konflikts zwischen Papst Gregor VII. und dem deutschen König Heinrich IV. war, sondern die Bischofsinvestitur durch weltliche Herrscher erst 1078 grundsätzlich verboten wurde.
1980 übernahm Rudolf Schieffer mit nur 33 Jahren einen Lehrstuhl an der Universität Bonn. Wissenschaftliche Arbeit, Lehre und außeruniversitäres Engagement für sein Fach waren ihm gleichermaßen wichtig, immer getragen von spürbarer Leidenschaft für die Sache. Ich habe ihn 1982 als jungen Professor kennengelernt. Seine Epochenvorlesungen zogen ein großes Publikum an. Sie eröffneten vielen einen faszinierenden Zugang zum weitgehend unbekannten Mittelalter. Am Ende stand ein umfassender Überblick über den Stoff. Wer im Selbststudium den Literatur- und Quellenangaben der Blätter zu den Vorlesungen folgte, erhielt eine profunde Einführung in die Wege der Forschung. In Übungen und Seminaren hielt er die Studierenden durch akribische Arbeit an lateinischen Quellen in Atem und vermittelte vor allen historischen Einsichten eine von Textüberlieferung und Quellenkunde ausgehende Methode. 29 Frauen und Männer begleitete Rudolf Schieffer als Doktorvater mit großzügigem Einsatz. Er schlug Themen aus seinen bevorzugten Arbeitsfeldern vor, Darstellungen und Editionen, verschloss sich aber auch nicht anders gelagerten Interessen seiner Schülerinnen und Schüler.
1994 zog Rudolf Schieffer ein zweites Mal nach München, um das Amt des Präsidenten der Monumenta Germaniae Historica anzutreten, deren Zentraldirektion er seit 1983 angehörte. Mit dem Amt war eine Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität verbunden. Es ist wohl auf die reduzierten Lehrverpflichtungen zurückzuführen, dass die meisten von Schieffers Doktorandinnen und Doktoranden Bonner Wurzeln haben. In seiner neuen Funktion war er als Herausgeber für das renommierte „Deutsche Archiv“ verantwortlich. Welchen Stellenwert er dieser Fachzeitschrift einräumte, bezeugen nicht zuletzt die über 3000 Rezensionen, die er im Laufe seines Gelehrtenlebens zum Besprechungsteil beisteuerte. Die Präsidentschaft gab Rudolf Schieffer die Möglichkeit, die Erforschung der mittelalterlichen Geschichte nach eigenen Vorstellungen zu fördern und sein Fach in Wissenschaft und Öffentlichkeit zu repräsentieren. Bis zum Eintritt in den Ruhestand 2012 leitete Rudolf Schieffer das Editionsunternehmen von international exzellentem Ruf.
Eine besondere Stärke des in Wort und Schrift virtuosen Stilisten Rudolf Schieffer waren historiographische Synthesen. Zur „Rheinischen Geschichte“ etwa trug er das Kapitel über die späte Salierzeit bei. Für die Neuauflage von Gebhardts „Handbuch der deutschen Geschichte“ verfasste er den Band über „Die Zeit des karolingischen Großreichs 714-887“. Sein 1992 zuerst erschienenes Standardwerk „Die Karolinger“ erlebte 2014 eine 5. erweiterte Auflage. In der „Geschichte Europas“ stammt von ihm der Band „Christianisierung und Reichsbildungen. Europa 700-1200“, über die Zeitspanne also, mit der er sich jahrzehntelang in europäischer Perspektive auseinandergesetzt hatte. Es war ihm ein Anliegen, Geschichte, in diesem Fall die Entstehung der staatlichen und kulturellen Vielfalt Europas, einem breiteren Publikum verständlich zu machen. Deswegen hielt Rudolf Schieffer, der im Wissenschaftsbetrieb ein gefragter Referent war, häufig und gern Vorträge auch in außeruniversitärem Rahmen. Immer wieder unterstützte er Museen, nicht nur in Paderborn, Magdeburg und Aachen, als Ratgeber und Autor bei Ausstellungen zu mittelalterlichen Themen.
Aufgaben in Beiräten und Kommissionen bedeutender Wissenschaftsorganisationen, Institute und Herausgebergremien wurden Rudolf Schieffer zahlreicher angetragen, als hier erwähnt werden kann. Dabei setzte er sich auf organisatorischer Ebene ebenso ein wie mit Rat in fachlichen Fragen. Wissenschaftspolitische Verantwortung übernahm er 1984 bis 1990 im Wissenschaftsrat und nach dem Fall der Mauer in einem Ausschuss zur Evaluation geisteswissenschaftlicher Institute der ehemaligen DDR. Ich erinnere mich, dass ihn die politische Umbruchszeit und auch die Erkundung der „neuen Länder“ auf Reisen stark bewegten. Seit 1992 gehörte er dem Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte an, 2005 bis 2013 als Vorstandsmitglied. Im Rückblick ist es überraschend, auf wie vielen Feldern er sich unermüdlich betätigte, ohne davon Aufhebens zu machen. So unter anderem für das Bonner Albertus-Magnus-Institut, das beim Totengedenken Rudolf Schieffers „selbstlosen Einsatz“ mit dem Hinweis würdigte, alle Editionen dieser Einrichtung trügen seine Spuren. Besonders am Herzen lag ihm die Görres-Gesellschaft, der er 1975 beigetreten ist, und deren Römisches Institut. Er war ein engagiertes Mitglied: Von 1991 bis 2016 hatte er das arbeitsreiche Ehrenamt des Generalsekretärs der Görres-Gesellschaft inne. Über ein Jahrzehnt hinweg leitete er bei der Jahrestagung auf inspirierende Weise die Sektion für Geschichtswissenschaft. Angesehene wissenschaftliche Akademien im In- und Ausland ehrten Rudolf Schieffer durch eine Zuwahl und konnten auf sein tatkräftiges Engagement für eine geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung zählen. Das Amt des Sekretars der geisteswissenschaftlichen Klasse der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste hatte er gerade erst 2017 angetreten. Für die Bayerische Benediktinerakademie war es eine besondere Ehre, dass er 2002 die Wahl zum außerordentlichen Mitglied in der Historischen Sektion annahm. Denn seine eigenen Schriften erhellten die Geschichte des früh- und hochmittelalterlichen Mönchtums auf vielfältige Weise. Zudem repräsentierte er die Monumenta Germaniae Historica, die von jeher klösterliche Überlieferung des Mittelalters der Forschung zugänglich macht. Rudolf Schieffer reiste regelmäßig zu den Jahrestagungen der Historischen Sektion, die er mehrmals durch Vorträge bereicherte. Sichtlich gern beteiligte er sich in diesem Kreis an Liturgie, Besichtigungen und Geselligkeit. Er beriet das Projekt des Handbuchs der benediktinischen Ordensgeschichte und wollte es als Autor unterstützen.
Als Ruheständler kehrte Rudolf Schieffer nach Bonn zurück, wo er sich beheimatet fühlte und alte Freundschaften pflegte. Themen der rheinischen Geschichte findet man unter seinen Publikationen übrigens zahlreich und dies gewiss nicht allein, weil die Rheinlande ein Kernraum der Reichsgeschichte waren, sondern aus einem ureigenen Interesse. Neben vielfältigen Aktivitäten nahm er sich weiterhin Zeit, mit spitzem Bleistift Manuskripte derer durchzusehen, die ihn darum baten, aber auch für regelmäßige Besuche bei alten und kranken Weggefährten. Mir wird er als Ausnahmeerscheinung in Erinnerung bleiben, erfüllt von seiner Arbeit und liebenswürdig in jeder Begegnung.

Anja Ostrowitzki, Bonn

P. Dr. Gabriel Heuser OSB (19. Januar 1940 – 2. September 2018)

P. Gabriel Heuser verstarb am 2. September 2018 im 79. Lebensjahr nach mehrmonatiger schwerer Krankheit im Priorat Wechselburg (Sachsen). Wenige Monate nach Beginn des zweiten Weltkrieges wurde Heinz Heuser am 19. Januar 1940 In Köln-Buchforst geboren. Seine Eltern Anton und Karoline Heuser hatten in den vorangegangenen Jahren durch den Tod bereits zwei Kinder verloren und waren deshalb für ihr jüngstes und nun einziges Kind besonders dankbar. Die ersten Lebensjahre unseres Mitbruders waren freilich auch geprägt durch die häufigen Bombenangriffe auf Köln bis hin zum Verlust aller Habe und zur Evakuierung nach Oppenau im Schwarzwald. Bald nach Kriegsende aber konnte Familie Heuser nach Köln zurückziehen, wo unser Pater Gabriel eingebunden in die Lebendigkeit seiner Heimatpfarrei die Schule besuchen und nach nochmaligem Umzug zurück nach Köln-Buchforst am humanistischen Gymnasium in Köln-Mülheim 1959 die Reifeprüfung ablegen durfte.
Schon in der Vorbereitungszeit für die Abiturprüfungen hatte Heinz Heuser, dem durch einen Verwandten in der Erzabtei Beuron das benediktinische Leben bereits ein wenig vertraut war, Kontakt mit der Abtei Ettal aufgenommen. Von Abt Johannes Hoeck wurde er am 28. April 1959 als Frater Gabriel eingekleidet. Seit 1960 studierte er zunächst an der Universität Innsbruck, dann an der Universität Trier Theologie, ehe er nach der ewigen Profess vor Abt Karl Groß und nach der Priesterweihe im Jahr 1965 in Ottobeuren durch Bischof Josef Stimpfle als Präfekt und Direktor im Internat Ettal als Religionslehrer am dortigen Gymnasium und seit 1983 als Pfarrer, wozu sich das Amt des Dekans im Dekanat Rottenbuch fügte, eingesetzt wurde. 
Anfang der 1970er Jahre durfte P. Gabriel an der Universität Trier seine Studien fortsetzen und wurde 1973 mit einer religionspädagogischen Arbeit zum Doktor der Theologie promoviert. Die wissenschaftliche Arbeit trägt den Titel: „Soziale Prägung und Glaubensmöglichkeit. Soziologische und sozialpsychologische Determinanten des religionspädagogischen Feldes bei fünfzehn bis achtzehnjährigen höheren Schülern“.
Im Kloster versah P. Gabriel mit Umsicht das Amt des Subpriors, dann das des Priors und über viele Jahre den Dienst des ersten Kantors, ehe er 1993 zusammen mit drei weiteren Mitbrüdern in die Diözese Dresden-Meißen aufbrach, um dort an der Wechselburger Heilig-Kreuz-Basilika benediktinisches Leben einzupflanzen.
Als Oberer der kleinen Gemeinschaft und deren Kantor, als Betreuer der Weltoblaten und wieder als Pfarrer hat er die Aufgabe der Benediktiner in dem vielfach kirchenfernen Umfeld als Gottsuche dort, wo ihn keiner vermisst, gesehen. Er, der nicht selten vom intellektuellen Zweifel begleitet war, wollte das Gerücht von Gott wachhalten, war vielen Suchenden Zuhörer und Wegbegleiter, ging bis in seine letzten Tage hinein dem Beruf nach, den der heilige Benedikt als den Beruf des Mönches versteht. P. Gabriel wollte ein Gottsucher sein und nahm gerne andere in Erwachsenenbildung, Seelsorge und theologischer Auseinandersetzung nicht zuletzt in der Bayerischen Benediktinerakademie, der er seit 1994 in der Sectio theologica angehörte, auf den Weg der Gottsuche mit. 
Als die Ärzte Pater Gabriel im Spätjahr 2017 mit der Krebsdiagnose konfrontierten, stellte er sich dieser Realität geradezu nüchtern. In bewundernswerter Disziplin kam er seinen Aufgaben besonders denen des Kantors und Seelsorgers nach, so lange es seine Kräfte irgendwie zuließen. Im Frühjahr dieses Jahres konnte er noch die Vorstellung des anlässlich der 850-Jahr-Feier im Benno-Verlag erschienen Sammelbandes „Basilika und Kloster Wechselburg“ erleben. Er selbst fügte in das Buch eine Zusammenschau der 25 Jahre, die inzwischen vergangenen waren, seitdem die Ettaler Benediktiner im sächsischen Wechselburg Gott suchen. Das dankbare Gedenken an die 25 Jahre benediktinischen Lebens in Wechselburg am 28. August konnte P. Gabriel nur noch von seiner Zelle aus mitbegleiten. Wenige Tage später ist er am Sonntagabend, 2. September 2018, verstorben. Am 10. September wurde er in Ettal beigesetzt. 

Barnabas Bögle OSB, Ettal

Sr. Dr. Corona Bamberg OSB (18. April 1921 – 3. Mai 2018)

Am 18. April 1921 in Fürth (Bayern) geboren, wuchs Irmengard Elisabeth in Augsburg auf. In Berlin studierte sie Altphilologie und Germanistik (Dr. phil.). Eine nachhaltige Begegnung mit Prior P. Theodor Bogler in Maria Laach zu Pfingsten 1944 schenkte ihr Gewissheit über ihren Weg. Am 8. Juli 1945 trat sie in die Heiligkreuzabtei Herstelle in der Nähe von Paderborn ein und erhielt den Schwesternnamen Corona. Sie wirkte im Kloster als Organistin, Zelatrix und Gastmeisterin; durch eine rege Tätigkeit an Vorträgen, Rundfunkansprachen, Exerzitien, geistlicher Begleitung und schriftstellerischer Arbeit wurde sie über Herstelle hinaus bekannt. In den 1970er Jahren nahm sie zur „Würzburger Synode“ berufen, 1991–1996 war sie Beraterin in der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz. Als eine der ersten Frauen 1981 in die Bayrische Benediktinerakademie aufgenommen, blieb sie dieser zeitlebens rege verbunden. Am 3. Mai 2018 starb sie in Herstelle.
Es gibt viele Menschen, die Sr. Corona besser kannten als ich und ihre Eigenart und Wirkung tiefgründiger beschreiben könnten. Ich wurde wohl um diesen Nachruf gebeten, weil ich mit ihr einige Monate vor ihrem Tod ein ausführliches Interview führte. Es war unsere erste und letzte Begegnung, für mich unvergesslich. Auf literarischem Wege war ich ihr bereits kurz nach der Jahrtausendwende begegnet, ein gutes Jahr nach meinem Klostereintritt: Was Menschsein kostet – erstmals veröffentlicht 1971. Sie beschreibt darin, wie im Mönchsleben exemplarisch sichtbar wird, worauf es überhaupt im menschlichen Leben ankommt. Die frühen Mönche zeigen uns: Gott ist das Herz aller Wirklichkeit und unser Ziel. Das erlebte, das verkörperte Sr. Corona mit ihrem Leben und ihrer existentiellen Theologie.
Als ich über die Neuauflage ihres Klassikers eine Rezension verfasste, schrieb sie mir von sich aus. Durch einen mit Schreibmaschine getippten doppelseitigen A5-Zettel vom 14. Mai 2005 wollte die damals 84-jährige Altmeisterin monastischen Lebens mir offenbar für mein noch junges Leben als Benediktiner etwas mitgeben. Sie spricht von der grundlegenden Haltung, „nicht aufzugeben. Auch nicht, wenn die Enttäuschung über das eigene Leben hinaus auf die Gemeinschaft usw. geht“. Weit entfernt, moralische Appelle vom Stapel zu lassen, lässt sie schlicht, aber kraftvoll ihre Erfahrung aufleuchten, die anstecken soll: „Mensch werden in Gott, das ist und bleibt mein Ziel. Also Selbstfindung, nicht Selbstverwirklichung – um sich Ihm hinzugeben. Wie unzeitgemäß! Oder doch nicht? Je länger, je mehr meine ich: Nein. Und ich finde viel Bestätigung dafür, auch existentiell. Das wünsche ich auch Ihnen herzlich. Einen gesegneten Weg als Mönch. Es ist ein guter Weg, ich würde ihn wieder wählen, wenn ich vor einer solchen Wahl stünde. Ihre Sr. Corona OSB.“
Im erwähnten Interview saß ich nun einer körperlich schwachen, aber geistig äußerst regen 96-jährigen gegenüber. Mir ging neu auf, dass ihre erstaunliche Belesenheit, ihr Interesse für Literatur, Kunst und das Zeitgeschehen nicht zum Vielwissen führen sollte, sondern zum Verkosten der Dinge von Innen her (Ignatius von Loyola). Das führte aber zu keiner abgehobenen, rein vergeistigten Lebensgestalt, sondern zu einer weltzugewandten Geistlichkeit. Auf die Frage, was sie besonders gern hätte, sagte sie ohne Zögern: „Ein gutes Glas Wein.“ Das Wörtchen ein ist bezeichnend für sie – Ausdruck benediktinischen Maßhaltens. Sie wollte ja den umstrittenen Begriff der Askese nicht aufgeben, sondern neu zum Leuchten bringen. Gerade dadurch, dass sie auch gegen den ohnehin kurzatmigen Zeitgeist lebte, dachte und schrieb, bleibt sie relevant und aktuell über ihre Zeit hinaus.
Ihr starker Wille wurde deutlich, als sie die Gesprächsführung sich nicht aus der Hand nehmen ließ. Ich frage bei Interviews nämlich gerne nach, um eine zweite Variation über die gleiche Frage zu erhalten und dann die bessere Version verwenden zu können. Sr. Corona ließ sich auf dieses Spiel gar nicht ein. Zweimal beantwortete sie freundlich, aber bestimmt meine Bitte „Was bedeutet das?“ oder „Wie meinen Sie das?“ mit unmissverständlichen Antworten: „Was ich soeben sagte“, bzw. „Ich habe es Ihnen gerade erklärt“.
Lächeln musste ich auch, als wir über die Bedeutung der Freundschaft im benediktinischen Leben sprachen – sie blinzelte mit ihren Augen und fügte zu ihren Ausführungen hinzu: „… gerade mit Männern!“ Ihr Selbstbewusstsein und ihr Humor kamen gänzlich zum Vorschein, als sie gegen Ende des Gesprächs mir plötzlich Fragen stellte, z.B. „Wie hoch ist der Altersdurchschnitt in Kremsmünster?“ – „Bereits 64 Jahre“, worauf die über 30 Jahre ältere Benediktinerin lapidar mit den Worten anmerkte: „Na, Sie leben aber in einem jungen Kloster!“
Im Artikel „Was ich noch sagen wollte“, der sieben Jahre vor ihrem Tod in einer bezeichnenderweise von Jesuiten herausgegebenen Zeitschrift erschien, schrieb sie zu ihrem Klostereintritt im Jahre 1945 in Herstelle: „Dort wollte ich sterben lernen, ganz bewusst. Heute sehe ich, dass ich gelernt habe zu leben.“ Im zitierten Interview sagte sie kurz und bündig auf die Frage über das Danach: „Ich bin jedenfalls überzeugt, dass es mit unserem irdischen Leben nicht zu Ende ist. Und ich bin neugierig auf das, was danach kommt.“

Bernhard A. Eckerstorfer OSB, Kremsmünster

Prof. Dr. Irenäus Eibl-Eibesfeldt (15. Juni 1928 – 2. Juni 2018)

Irenäus Eibl-Eibesfeldt wurde am 15. Juni 1928 in Wien geboren. Er studierte und promovierte bei Konrad Lorenz. Reisen 1953 und 1957 führten ihn in die Karibik und zu den Galapagosinseln, wo auf seine Initiative hin Schutzgebiete und die Charles-Darwin-Forschungsstation eingerichtet wurden. Weitere Reisen führten ihn nach Afrika, Südamerika und Ostasien zur Erforschung universeller menschlicher Gemeinsamkeiten bei Gefühlen wie Trauer, Erstaunen, Furcht, Freude oder Verlegenheit. Ab 1956 war er am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen tätig, 1963 erhielt er einen Lehrauftrag an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1969 eine Professur für Zoologie. Im Jahr darauf übernahm er zusätzlich die Leitung der Arbeitsgruppe für Humanethologie in Seewiesen, 1972 gründete er gemeinsam mit weiteren Verhaltensforschern wie Konrad Lorenz, Bernhard Grzimek und Horst Stern die „Gruppe Ökologie“, seit 1975 leitete er die Forschungsstelle für Humanethologie in Seewiesen, aus der 2004 das Max-Planck-Institut für Ornithologie hervorging. Insgesamt veröffentlichte Prof. Eibl-Eibesfeldt weit über 600 Publikationen und mehr als 20 Bücher. Er erhielt zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, war Mitglied in zahlreichen Wissenschafts-Akademien und gehörte unserer Bayerischen Benediktinerakademie seit 1998 als außerordentliches Mitglied an.
Am 2. Juni 2018, wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag, verstarb er nach kurzer, schwerer Krankheit und wurde am 15. Juni in Söcking begraben. R.I.P.
Johannes Schaber OSB, Ottobeuren

Sr. Dr. Pia Luislampe OSB (27. April 1934 – 10. März 2018)

1934 in Frankenstein/Schlesien geboren, teilte Sr. Pia (Margarethe) Luislampe das Schicksal der vielen, die aus Schlesien fliehen mussten; eine traumatische Erfahrung, die sie die politischen Ereignisse seit 2015 mit persönlicher Betroffenheit hat erleben lassen.
Als Gemeindereferentin ausgebildet, trat sie 1961 in das Benediktinerinnenkloster St. Scholastika auf Burg Dinklage ein. Die zeitliche Parallelität ihres Neuanfangs zum II. Vatikanischen Konzil, die als kirchliche Zeitenwende in Dinklage wachen und bereiten Herzens aufgenommen wurde, war für Sr. Pia zukunftsweisend. Als erste der Gemeinschaft wurde ihr das Studium der Theologie ermöglicht; eine Chance, die sie voll auskostete. Ihre Dissertation „Spiritus vivificans – Grundzüge einer Theologie des Heiligen Geistes nach Basilius von Caesarea“ begründete eine lebenslange innige Beziehung mit Basilius d. Gr.; wobei sie ihre Freundschaft schon bald auf die ganze Familie und besonders seine Schwester Makrina ausweitete.
Sr. Pia verstand sich nicht als feministische Theologin und doch darf ihr wissenschaftlicher Beitrag gerade auch zur Diskussion um das Amt der Diakonin, der sich nicht zuletzt ihrer lebenslangen Freundschaft mit Prof. Peter Hünermann verdankte, als wesentlich eingeschätzt werden. Zielstrebig, still und konzentriert erarbeitete sie sich die Welt der frühen Kirche, insbesondere des frühen Mönchtums und suchte nicht zuletzt die Spuren der Frauen in ihr. In Veröffentlichungen, zahlreichen Vorträgen und persönlichen Gesprächen teilte sie ihre spirituellen und theologischen Einsichten.
1987 wurde sie Mitglied der BBA und wirkte bis zu ihrem 80. Lebensjahr mit großer Treue und zuverlässigem Engagement in der Herausgabe der Monastischen Informationen mit. Die Mitwirkung in der Regelkommission zur Erarbeitung eines neuen Regelkommentars hat sie als Ehre und Herausforderung erlebt.
Zugleich war sie eine beliebte geistliche Begleiterin, die vielen Menschen, vor allem Frauen, eine treue und nahe Gefährtin war. Auch ihre Dienste innerhalb des Konventes, sei es in der Verantwortung für die Bibliothek, bis hin zu kleineren Refektoriumsdiensten im hohen Alter, übte sie mit stiller Zuverlässigkeit aus.
Mit 82 Jahren veröffentlichte sie ihre letzte kleine Schrift zum Thema „Heiligkeit“. Dies darf man wohl als ein Lebensresümee verstehen. Mit einem Zitat aus „Heiligkeit“ möchte ich dieses Lebensbild beschließen: „… das Leben will seine Fülle erreichen. Die Gnade will in der Reifung des Lebens unter der getreuen Mitwirkung des Menschen und seinem beharrlichen Fruchtbringen in Geduld ihre (soweit das möglich ist) völlige Aneignung schenken, eine absolute Übergabe an Gott in Glaube, Hoffnung und Liebe „aus ganzen Herzen und mit allen Kräften“ (Mt 22,37).
Sr. Pia Luislampe ist bereitwillig und dankbaren Herzens dem Tod entgegengegangen im tiefen Glauben, dass Gott das Begonnene ihres Lebens vollendet. Möge sie nun leben in der Fülle göttlichen Lebens.

Ulrike Soegtrop OSB, Dinklage