1981

Archimandrit Prof. Dr. theol. Johannes Chrysostomus Basilius Blaschkewitz OSB (27. Januar 1915 – 3. Oktober 1981)

Auf dem Weg zur abendlichen Vesper starb am 3. Oktober 1981 an einem plötzlichen Herzversagen unser P. Subprior und der Dekan der byzantinischen Dekanie, Archimandrit Johannes Chrysostomus Basilius Blaschkewitz. Wassilij Blaschkewitz entstammte einer vor der Oktoberrevolution reichbegüterten russischen Familie. Ein Großvater war orthodoxer Geistlicher, sein Vater Gymnasiallehrer in Bjelyj, einer russischen Kleinstadt, 150 km nordöstlich von Smolensk. Dort wurde er am 27. Januar 1915 geboren. Schon mit 15 Jahren beendete der hochbegabte Schüler das Gymnasium und wurde sofort, nach Ablegung einer Sonderprüfung, als Lehrer an Volksschulen eingesetzt. Um das Jahr 1937 konnte er das Studium der Germanistik an der Moskauer Universität aufnehmen. Zu Beginn des Russlandfeldzugs wurde er zu Schanzarbeiten eingezogen und geriet in der Kesselschlacht bei Wjasma in deutsche Gefangenschaft. Den Krieg verbrachte er als Dolmetscher bei deutschen Einheiten. Nach Kriegsende konnte er sich der drohenden Repatriierung durch die Flucht aus dem englischen Gefangenenlager entziehen.
Durch persönliche innere Erlebnisse war der gläubige orthodoxe Student auf die katholische Kirche hingewiesen worden. Während des Krieges hat er dann in einem polnischen Pfarrhaus den Übertritt zur katholischen Kirche vollzogen. Ein Kriegspfarrer, der von unserer ostkirchlichen Arbeit wusste, wies und ebnete ihm den Weg nach Niederaltaich, wo er am 14. Januar 1946 eintraf. Am 27. Oktober 1947 legte er seine Profess ab. Seine philosophischen und theologischen Studien machte er in Passau und Rom, wo er am 1. Juni 1952 zum Priester geweiht wurde. Anschließend promovierte er am Orientalischen Institut mit einer Arbeit über die russischen Altgläubigen. Von 1955 an war er wieder in Niederaltaich. Durch die Einrichtung einer byzantinischen Kapelle war es von da an möglich, Liturgie und Stundengebet im byzantinischen Ritus zu feiern, zunächst altslavisch, dann deutsch. Im Jahre 1958 konnte eine eigene byzantinische Dekanie unter seiner Leitung gebildet werden. Zu Beginn des Jahres 1967 wurde P. Chrysostomus das Amt des Subpriors übertragen. In Anerkenung seiner ökumenischen Verdienste wurde er anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten des Collegium Russicum am 4. Oktober 1979 zum Archimandriten ernannt und geweiht. Das Ansinnen, in Rom weitergehende Verpflichtungen zu übernehmen, lehnte er in klarer Erkenntnis seiner physischen Grenzen ab. Ein schwerer Herzanfall am 26. August 1981 ließ ihn bereits das Ende seines Lebens erahnen.
Mit Archimandrit Chrysostomus verlor unser ökumenisches Institut einen seiner wichtigsten Mitarbeiter. Durch seine Herkunft aus einem gläubigen orthodoxen Elternhaus und eine umfassende Kenntnis der Geschichte der orthodoxen Kirchen in Vergangenheit und Gegenwart war er der geborene Fachmann für alle Fragen der Beziehungen zwischen der katholischen und der orthodoxen, besonders der russischen Kirche. Mit der ökumenischen Arbeit beauftragt, widmete P. Chrysostomus seine ganze Kraft dem Bemühen das gegenseitige Verständnis dieser Kirchen zu fördern und zu vertiefen. Ihm galten seine, häufig auch auswärts gefeierten Gottesdienste und Predigten, seine zahlreichen Artikel und Vorträge, nicht zuletzt seine Bücher, vor allem sein dreibändiges Hauptwerk: „Kirchengeschichte Russlands der neuesten Zeit“, Verlag Anton Pustet, München/Salzburg 1965-1968. Die Universität Salzburg nahm diese Darstellung der russischen Kirchengeschichte von 1917 bis 1965 als Habilitationsschrift an und ernannte ihn 1968 zum Dozenten für Russische Kirchengeschichte. Die Bayerische Benediktiner-Akademie hatte ihn schon 1964 als ordentliches Mitglied in ihre Theologische Sektion aufgenommen. P. Chrysostomus war auch Mitarbeiter der Historischen Sektion des wissenschaftlichen Arbeitskreises „Wissenschaft und Gegenwart“. Als Veröffentlichungen dieses Arbeitskreises erschienen die meisten seiner Bücher. Zahlreiche Artikel von ihm wurden in den Zeitschriften „Ostkirchliche Studien“ (Würzburg) und „UNA SANCTA“ (Meitingen/Freising, Redaktion in Niederaltaich) veröffentlicht. Als Herdertaschenbuch 311 erschien 1968 eine Kurzfassung seines großen dreibändigen Werkes unter dem Titel „Kleine Kirchengeschichte Rußlands seit 1917“. Gerne wurde P. Chrysostomus auch als Referent und Experte zu Tagungen und Kongressen eingeladen. Für die Sendungen des Radio Vatikan sprach er in den letzten Jahren Predigten in Russisch auf Band.
Die innere Entwicklung unseres „Väterchens“, wie wir ihn nach dem Sprachgebrauch seiner russischen Heimat liebevoll nannten, war zunächst sehr stark antikommunistisch geprägt. Durch eine Begegnung mit Erzbischof Kassian von St. Serge in Paris, dem geistlichen Zentrum der russischen Auslandskirche, Ende der fünfziger Jahre, wendete sich sein Blick stärker in jene theologische und ekklesiologische Tiefe, aus der allein die Beziehungen zwischen Ost- und Westkirche fruchtbar werden können. Später, Ende der sechziger Jahre, brachte die Begegnung mit dem Leiter des Außenamtes der russisch-orthodoxen Patriarchatskirche, Metropolit Nikodim, eine weitere Wende. Während früher Johannes Chrysostomus dem Moskauer Patriarchat mit großem Misstrauen begegnet war, warb er nun warm und überzeugend für dessen geistliche Führer. Das Kirchenpolitische trat in seinen Ansichten zurück gegenüber dem Geistlich-Kirchlichen und Spirituell-Theologischen. (Vgl. Manfred Plate, Väterchen, in: ,,Christ und Gegenwart“ Nr. 44 [1981] S. 364.) Es gehörte zu den großen Freuden für P. Chrysostomus am Ende seines Lebens, dass auch seine russische Heimatkirche durch den Patriarchen von Moskau sein ökumenisches Bemühen durch die Überreichung des Archimandritenkreuzes und der Jubiläumsmedaille des Patriarchen anerkannt hat.
P. Chrysostomus hinterläßt in unserer Gemeinschaft eine große Lücke. Er besaß eine gewinnende Herzlichkeit und humorvolle Fabulierkunst. Bei ihm hatte alles seine Zeit: das Lachen und das Weinen, das Reden und das Schweigen. Und in all dem war er groß: groß in seiner Freude, groß in seiner Trauer, groß in seiner Angst, groß auch in seiner Sorge für andere. Unermüdlich war er bemüht, Spannungen auszugleichen und Vertrauen zu schenken. Selbst eher ängstlich und zu gewissenhaft war er anderen gegenüber von einer großen Weitherzigkeit und Güte. Persönlich war er äußerst bescheiden, anspruchslos und mit allem zufrieden. In praktischen Dingen war er fast hilflos zu nennen. Dafür war er begabt mit einem scharfen Intellekt und einem fast untrüglichen Gedächtnis. So konnte er sich leicht das umfangreiche Wissen erwerben, über das man immer nur staunen konnte. Er hatte etwas von den russischen Starzen an sich, diesen Lehrmeistern des geistlichen Lebens. Er besaß ein feines Gespür für das geheime Sehnen des menschlichen Herzens nach Gott. Ihm galt das Loblied seines Herzens, geprägt von den Gesängen der byzantinischen Liturgie, seiner Liturgie, die seine Kindheit und Jugend begleitet hat und in der er im Alter mehr und mehr seine Heimat fand. Seine Beerdigung auf dem Friedhof in Niederaltaich und die vielen Zuschriften auf die Nachricht von seinem Tode hin machten deutlich, wie viele Menschen P. Chrysostomus persönlich und geistlich nahestanden.

Bonifaz Pfister OSB, Niederaltaich